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Von Geschlecht und Stereoanlagen

Zwischen unserem Geschlecht und einer Super Stereoanlage gibt es erstaunliche Parallelen.

Erinnert ihr euch noch an die Stereoanlagen, die vor Jahrzehnten in unseren Wohnzimmern standen? Diese klobigen Dinger, die Musik abspielten – sie waren definitiv nicht dazu gedacht, sie in die Hosentasche zu stecken oder sonst irgendwo bequem hin mitzunehmen - und je teurer sie waren, desto mehr Schieber und Knöpfe hatten sie. Oft galt: Je größer das Ding, desto besser oder gar potenter. Spätestens seit iPod-nano und Mini-Booms wissen wir: Naah! Das mit der Größe stimmt selten.

Stereoanlagen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem biologischen Geschlecht; die Vielfalt der Schieberegler und Drehknöpfe ermöglichen grosse Unterschiede in Ton und Ausprägung. Allerdings ist die Sache beim Geschlecht sogar noch komplizierter, als wir es uns vielleicht wünschen, denn auch bei «sex», dem biologischen Geschlecht, gibt es keine klare Binarität.

Auch das biologische Geschlecht ist nicht klar binär.

Sabrina Lisi

So wie der Sound einer Super-Stereoanlage je nach Einstellung von Lautstärke, Bass (Tiefen) und Treble (Höhen) ganz unterschiedlich klingen kann, so sehen auch unsere primären und sekundären Geschlechtsorgane (z.B. Vulva, Penis bzw. Bartwuchs, Brüste) je nach «Einstellung» ganz unterschiedlich aus, sie funktionieren sogar unterschiedlich. Die fünf wichtigsten Regler, die unser biologisches Geschlecht ausmachen, sind: Chromosomen, Keimdrüsen, innere und äußere Geschlechtsorgane sowie Geschlechtshormone.

Wir machen eine klitzekleine Biologiestunde: Die Chromosomen kommen in der Form X oder Y vor. Neben den bekannten Varianten XX (weiblich) und XY (männlich) gibt es die gar nicht so seltenen Intersex-Varianten wie X, XXY und viele weitere. Dann gibt es noch die Keimdrüsen, also die Organe für Hormone, Spermien und Eizellen, im Klartext: Eierstöcke und Hoden. Dazu kommen die inneren Geschlechtsorgane wie z.B. Gebärmutter, Nebenhoden und Samenleiter sowie die äußeren Geschlechtsorgane: Klitoris (wobei da lediglich der kleinste Teil sichtbar ist), Vulva, Penis und Hodensack. Als letzter Regler kommen die Geschlechtshormone ins Spiel: Östrogen und Testosteron.

All dies ist also Teil unserer Super-Stereoanlage mit ihren Geschlechter-Schiebereglern, die ganz unterschiedlichen «Geschlechter-Sound» erzeugen - je nachdem, was wie eingestellt ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass die äußeren Geschlechtsorgane erst durch die Geschlechtshormone geformt werden: Eine Klitoris entstünde als «Default», wenn nicht das Testosteron aktiviert würde, um aus den embryonalen Geschlechtsanlagen einen Penis zu formen. Und jetzt kommt's: Auf Chromosomenebene kann eine Person weiblich (XX) sein und trotzdem einen Penis und einen Hodensack haben, dank Testosteron. Bäm! Adieu biologische Binarität, hallo biologische Geschlechtervielfalt.

Sabrina Lisi 971

Dr. Sabrina Lisi ist Dozentin und Forscherin an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz und Expertin für Resilienz und Diversität. Wenn Sie Fragen haben, die sie gerne in dieser Rubrik beantwortet haben möchten, dann melden Sie sich hier.