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Mit Glitzer gegen Hetero­normativität

Heteronormativität ist so ein altes, klebriges Ding. Wie Plastik, das plötzlich schmierig und klebrig wird: Es breitet sich schamlos überall aus und ist kaum mehr zu entfernen. Da hilft Glitzer!

Heteronormativität? Die haben wir seit den 50er Jahren überwunden! Die immer lächelnde, wohlfrisierte, Röcke-only tragende Hausfrau, die unbezahlte Care-Arbeit leistet, erscheint uns nun wirklich rückständig. Auch die Rolle des rauchenden, emotional unerreichbaren Patriarchen (#Anzugundkravatteonly) scheint weit weg von unserer Alltagsrealität zu sein: Nagellack ist Trend jenseits von Geschlecht, es gibt Queer-Nights im Kino, Non-Binarität ist salonfähig und Glitzer ist für alle da (wirklich!).

Definitiv. Und das ist auch gut so. Aber Heteronormativität ist so ein altes, klebriges Ding. Wie Plastik, das plötzlich schmierig und klebrig wird: Es breitet sich schamlos überall aus und ist kaum mehr zu entfernen.

Was heisst den «Heteronormativität»? Darin steckt das Wort «hetero» und das Wort «Norm». Normen sind die ungeschriebenen Regeln einer Gesellschaft oder Gruppe, die aber dennoch gelten und bei Verstössen sanktioniert, also bestraft werden. Das Wort «hetero» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «anders» oder «verschieden», im Gegensatz zu «homo», was «gleich» bedeutet, z.B. gleichgeschlechtliche Liebe.

Setzen wir die beiden Wörter wieder zusammen, ergibt sich das Prinzip der Heterosexualität als oberste, ja einzige Norm, wie unsere Gesellschaft zu strukturieren ist: Geschlechterverhältnisse, Lebenspraxis, symbolische Ordnung, Rechte und Machtverhältnisse. Heteronormativität zwingt Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar unterscheidbarer Geschlechter, deren sexuelles Begehren sich ausschließlich auf das jeweils andere richtet. Kurz: Eine heteronormative Welt strebt nach einem eindeutigen binären Geschlechterverständnis von «Frau» und «Mann»: Queerness ist nicht vorgesehen. In der heteronormativen Welt ist auch alles vergeschlechtlicht: Toiletten, Farben, Haarlängen, Kleidung, Berufswahl, Emotionalität et cetera pp.

Achtung, es wird etwas herb: Was von der Heteronorm abweicht, wird sanktioniert, nicht mit Gefängnis, jedenfalls nicht mehr. In der Schweiz jedenfalls nicht mehr. Aber mit Diskriminierung, Ausgrenzung oder chirurgischer Anpassung (so bei operativen Eingriffen bei intergeschlechtlichen Kindern). Zum Beispiel hat die Schweiz die Intergeschlechtlichkeit immer noch nicht rechtlich anerkannt. Ein kleiner O-Ton dazu: «Das Gericht verwies dabei auf den eindeutigen Willen des Schweizer Gesetzgebers, der bewusst nur zwei Geschlechter will.» Die Gender Studies sind sich weitgehend einig, dass Heteronormativität patriarchale Machtverhältnisse stützt und bspw. mit Rassismus, Klassenverhältnissen und sexualisierter Gewalt zusammenhängt: Noch immer wird in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau von ihrem Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet.

WTF! Und das alles wegen der Heteronormativität? Well, yes. Irgendwie schon.

Where is the hope?

Hier! Wenn wir einen Blick in die Schweizer Geschichte der Geschlechtergerechtigkeit werfen, können wir zumindest ein wenig aufatmen (uns auf die Schulter klopfen wäre wohl zu viel des Guten): Seit den 1940er Jahren ist Homosexualität nicht mehr strafbar, vor ca. 50 Jahren erhielten Frauen das Stimmrecht (in anderen Ländern vor 100 Jahren) und Suizidalität aufgrund von Homosexualität ging zurück, (erst) seit 1981 ist die Gleichstellung im Bildungswesen in der Verfassung verankert, seit 2004 wird Gewalt in der Ehe und Partnerschaft von Amts wegen verfolgt, seit 2022 darf auch die LGBTIQ*-Community heiraten, 2024 tritt das «Nein heisst Nein»-Sexualstrafrecht in Kraft (eigentlich hätte es das «Nur Ja heisst Ja»-Gesetz werden sollen, aber hey, gäng söfu).

Löidde! Solidarisiert Euch! Der Wandel ist da und unaufhaltsam. Das müssen wir feiern. Mein all-time-favourite in diesem Zusammenhang ist und bleibt der 14. Juni 2019: Der nationale feministische Streik. Was für ein genialer Tag! Etwa eine halbe Million Schweizer*innen gingen auf die Strasse um letztendlich heteronormative Strukturen aufzubrechen. Und das geschieht nicht mit Gewalt, sondern mit überwältigender Präsenz, Gemeinschaft, Solidarität, Liebe, Allyship, viel Pink, Nagellack und viel, viel, viel Glitzer. Drum mein Rat: Mit Glitzer gegen Heteronormativität