Beauty 1

Nägel mit Köpfen machen

«Frauen, die sich stundenlange mit ihren Haaren, lackierten Nägeln und Haarentfernung beschäftigen, verschwenden Zeit, die sie sich für Feminismus nehmen könnten».

Ich bin neunzehn. Es ist Juli, ich habe knappe Jean-shorts, offene Schuhe und ein Hemd an. In meinen Haaren sind wahrscheinlich mehr Produkte, als ich Kleidungsstücke anhabe und meine Nägel sind knallrot. Ich bin an einem Weiterbildungsseminar für akademisch begabte Studierende und als mir die etwas ältere S. diesen Satz sagt, brennt er sich in mein Gedächtnis und bleibt dort viele Jahre.

Ich wurde zu diesem Seminar als eine Vertreterin der Jugendpolitik eingeladen. Zu den «talentierten Studierenden» gehörte ich ganz und gar nicht. Drei Wochen davor habe ich meine Jura-Jahresprüfungen mit ganz wenig Erfolg und ganz viel Angst komplett verpfiffen. Das, zusammen mit meinem jungen Alter, liess mein Impostor-Syndrom innerhalb dieser Akademiker:innen-Bubble aufblühen. Obwohl ich politisch aktiv war und mich schon damals für Feminismus einsetzte, konnte ich diese Aussage nicht kontern und schwieg einfach.

Die Zugehörigkeit zu den «konform-Schönen» kann indirekt zu besseren Jobs, einem engeren sozialen Umfeld, so wie auch besseren Wahlchancen in der Politik verleiten. Diese Effekte sind seit Jahrzehnten bewiesen.

Wer Kinder hat (und mit Kindern zu tun hat), weiss, dass sie schon sehr früh anfangen zu kategorisieren. Bereits im Kindergarten wurde man (vor allem als Mädchen) von Erwachsenen, so wie auch von Gleichaltrigen entweder als schön oder nicht schön eingestuft. Diese Einteilung verleiht sozialen Status, erleichtert sogenannte Freundschaften und, sind wir ehrlich, generell mehr Lebensfreude. Und je älter man wird, desto mehr wird die eigene Schönheit oder deren Fehlen zur sozialen Währung. Dies hallt bis in die Pubertät nach, wo man sich – gottseidank - dann schminken, Frisuren machen und Nägel lackieren «darf». Endlich konnte man viele «Mängel», die einem von der Gesellschaft vorgeworfen werden, beheben.

Durch die Verfolgung der gesellschaftlichen Schönheitsideale wird man auch gemäss der Wissenschaft erfolgreicher. Denn gemäss Halo-Effekt werden schöne Menschen auch sympathischer, kluger und kompetenter eingeschätzt als diejenigen , die die genetische Lotterie nicht gewonnen haben. Kulturübergreifend gelten die folgenden Gesichtsmerkmale bei Frauen gemäss der Wissenschaft als schön: grosse Augen, hohe Wangenknochen, schmale Wangen, kleine Nase und ein kleines Kinn. Die Zugehörigkeit zu den «konform-Schönen» kann indirekt zu besseren Jobs, so wie auch besseren Wahlchancen in der Politik verleiten. Diese Effekte sind seit Jahrzehnten bewiesen.

Darf ich dann nicht bestimmen, dass ich zwei Mal im Monat meine Nägel neu mache? Oder geht das nur, wenn ich beim Trocknen der Nägel unter der UV-Lampe parallel feministische Essays lese?

Warum zum Teufel sollte ich dann nicht auf meine Haare, Nägel oder Körperbehaarung achten? Feminismus fördert Frauenpower, gemäss dem Halo-Effekt hat man als attraktiver Mensch (in allen Lebensbereichen) bessere Chancen. Was durch feministische Erfolge auch gefördert wird, ist Selbstbestimmung. Darf ich dann nicht bestimmen, dass ich zwei Mal im Monat meine Nägel neu mache? Oder geht das nur, wenn ich beim Trocknen der Nägel unter der UV-Lampe parallel feministische Essays lese? Darf ich nur noch eine Philosophin als Nail-Artist anstellen? Was darf ich überhaupt noch?

Ich finde es absolut absurd. Als eine junge Frau kann man stets nichts richtig machen, weder bei meiner Mama, die meine unlackierte Nägel hässlich finden, noch bei S., die mir aufgrund von 10 ml Gelnagel unterstellt, eine schlechte Feministin zu sein. Wenn Feminismus Gleichberechtigung und Selbstbestimmung heisst, sollten nicht alle Arten der Nageldekoration, egal ob einfach maniküret, geliert oder verlängert gleichberechtigt sein?

Spass beiseite, aber der Fakt, dass man sich auf beiden Seiten des Spektrums – meiner mit Sexismus aufgewachsenen Ostblockmama und der feministischen Schweizerin S, so fest mit dem Äusseren einer Frau beschäftigt, ist widerlich. Egal, ob emanzipiert oder konservativ, glaubt man immer, dass man Frauen vorzuschreiben hat, wie sie auszusehen haben. Die beiden Seiten beleidigen sich, lachen einander aus und diskutieren ewig, was richtig sei und wie man sich als Frau nun «richtig» zu verhalten hat. Aber die Meinungen schliessen sich in einem Kreis – denn auch eine soziale Norm, etwas nicht zu tun (z.B. sich nicht zu schminken oder zu rasieren) ist eine Vorschrift.

Wenn ich mir etwas für die Welt wünschen könnte, wäre es, dass wir – und da meine ich alle Geschlechter in ihren verschiedenen Formen - Frauen mit unseren Schönheitsvorstellungen einfach in Ruhe lassen könnten.

Ich bin nicht mehr neunzehn. Es ist Februar, meine Hosen sind lang, meine Beine unrasiert. Mein Partner und ich misten alle sechs Monate meine Haar- und Gesichtsprodukte aus, damit sie nicht die Herrschaft über die Wohnung ergreifen. Ich bin am Ende meines Bachelors, arbeite bei Geschlechtergerechter und bin seit vier Jahren für feministische Themen politisch engagiert. Wenn ich mir etwas für die Welt wünschen könnte, wäre es, dass wir – und da meine ich alle Geschlechter in ihren verschiedenen Formen - Frauen mit unseren Schönheitsvorstellungen einfach in Ruhe lassen könnten.

Danke fürs Lesen und liebe Grüsse von meiner Nailartist (mit einem Masterabschluss).

Liya Bruman arbeitet als Projektmitarbeiterin bei Geschlechtergerechter.

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