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Frau, wie geht es Dir?

72 % der Frauen teilen die Ansicht, dass Männer in der Schweiz insgesamt noch immer mehr Vorteile als Frauen hätten, schlicht und einfach aufgrund ihres Geschlechts. Dies ist im internationalen Vergleich einer der höchsten Werte der westlichen Welt. Doch wo ansetzen bei der Gleichstellung und wie geht es Frau wirklich? Über 6000 Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz haben zwischen dem 21. und dem 31. Januar 2021 an der grossen Frauenbefragung annajetzt von Sotomo und annabelle teilgenommen. Die Resultate im Schnelldurchlauf:

Der wunde Punkt: Die Arbeitswelt

Die befragten Frauen sehen durchaus grosse Fortschritte in der Verwirklichung der Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz. Dennoch gibt es vor allem einen Bereich, bei dem die Mehrheit ein anhaltendes Gleichstellungsdefizit wahrnimmt: Die Arbeitswelt. Konkret schätzt nur jede zweite Frau den eigenen Arbeitgeber als familienfreundlich ein und nur zwei von fünf sind der Ansicht, dass Frauen und Männer beim aktuellen Arbeitgeber die gleichen Karrierechancen haben. Fast jede zweite Frau würde deshalb eine (temporäre) Geschlechterquote begrüssen, um die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt schneller zu verwirklichen.

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Die grosse Mehrheit der Frauen sind der Meinung, es müsse vorwärts gehen mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit: Ganze 85% teilen diese Forderung – unabhängig von Alter, Bildungsstand, politischer Orientierung oder Mutterschaft.

Hinzu kommt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Forderung nach einer besseren finanziellen Absicherung im Alter: Von zehn Befragten fordern sieben, dass Frauen nicht am Ende ihrer Erwerbstätigkeit auf Grund von weniger Einkommen und Beitragslücken in den Sozialversicherungen dem Risiko der Altersarmut ausgesetzt sind. 68 % sind der Ansicht, dass es bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie brauche.

Ein Hoffnungsschimmer zum Schluss; gut die Hälfte der Befragten sehen bei der Arbeitsteilung zuhause oder im Hinblick auf die gesellschaftliche Stellung der Frau eine Verbesserung im Vergleich zur eigenen Mutter.

68% der Frauen wollen bessere Rahmenbedindungen für Frauen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Sotomo Studie

«Ich bin Feminstin!»

Mehr als die Hälfte der jungen Frauen der Deutschschweiz bezeichnen sich heute als Feministin. Hier zeigt sich aber ein markanter Generationenunterschied: Bei den über 45-jährigen Frauen ist es bloss ein Drittel, der sich mit dem Begriff der Feministin identifiziert. Dieser Generationenunterschied – der auch in anderen Ländern zu beobachten ist – wird «Emma-Watson-Effekt» genannt, inspiriert durch die britische Schauspielerin und Uno-Botschafterin Emma Watson, die sich gerade unter jungen Frauen einen Namen gemacht hat, weil sie es wagt, Sexismus, Gewalt an Frauen und Diskriminierung offen anzuprangern.

Mental Load

81 % aller befragten Frauen geben an, dass sie mehr leisten als der Partner, wenn es um die Organisation, die Planung und das Drandenken in Haushalt und Familie geht. Sie tragen den Grossteil des sogenannten «Mental Load» – unabhängig davon, ob und wie viel sie selbst erwerbstätig sind. «Mental Load» meint aber nicht nur die Organisation des Haushalts, sondern auch das Pflegen von Beziehungen und die Zuständigkeit für emotionale Bedürfnisse anderer Haushaltmitglieder. Dazu gehören auch die Kindererziehung und die unbezahlte Care-Arbeit.

Traumpartner

Auf der Wunschliste an eine Person, mit der man eine Partnerschaft eingehen möchte, stehen ganz zuoberst Charaktereigenschaften wie Verlässlichkeit, Humor und Loyalität. Ein hohes Einkommen oder gutes Aussehen figurieren bei den Ansprüchen am Ende der Liste. Grösster Störfaktor ist aber, wenn der oder die Partner:in «im Haushalt viele Aufgaben ganz selbstverständlich mir überlässt»

Junge Frauen nennen insgesamt weit mehr Eigenschaften, die sie als besonders wichtig erachten als ältere Frauen. Mit steigendem Alter scheinen die Ansprüche und Erwartungen an einen Partner bzw. eine Partnerin etwas zu sinken.

Nur vier von zehn Frauen erleben heute ihre Sexualität als zufriedenstellend.

Sotomo Studie

Sexualität

Nur vier von zehn Frauen in der deutschsprachigen Schweiz erleben ihr Sexualleben als zufriedenstellend. Sexualität ist für viele Frauen auch mit negativen Erfahrungen verknüpft: 30% der Deutschschweizerinnen hatten schon Sex ohne ausdrückliche Einwilligung. Genauso hoch liegt der Prozentsatz derjenigen Frauen, die schon mindestens einmal im Leben sexualisierte Gewalt erfahren haben.

Was Frau ausmacht

Nur 5% der Deutschschweizerinnen zählen ihr Geschlecht zu den drei wichtigsten Merkmalen der eigenen Persönlichkeit. Die Geschlechtszugehörigkeit wird damit noch seltener genannt als die Altersgruppe (8%). Weit wichtiger für die eigene Identität sind Eigenschaften, die die Individualität betonen. Drei Viertel aller Befragten zählen den eigenen Lebensstil und die selbst gewählte Lebensweise zu den wichtigsten Identitätsmerkmalen.

Was Frau besser machen kann

Auf die Frage «Womit haben Sie in Ihrem Leben bisher zu viel Zeit verbracht?» antwortete jede Dritte Frau unter 35 mit: «sich entschuldigen.» Und knapp die Hälfte fand, sie hätten viel zu viel Zeit damit verschwendet, anderen gefallen zu wollen.

Gerade im Zeitalter der sozialen Medien mit dem permanenten Druck, sich selber darzustellen, zu messen und zu vergleichen, hat das Gefallen wollen ein ganz neues Ausmass erreicht.

Weniger als die Hälfte der Frauen verdienen heute in der Schweiz genug um ihren Lebensunterhalt allein bezahlen zu können.

Sotomo Studie

Finanzielle Abhängigkeiten

Nicht einmal die Hälfte der Frauen in der deutschsprachigen Schweiz verdient heute genug, um den Lebensunterhalt alleine zu bestreiten. So gab jede zweite Frau im Erwerbsalter an, für ihren Lebensunterhalt auf finanzielle Unterstützung durch den Partner oder die Partnerin angewiesen zu sein. Bei dieser Frage zeigt sich der bestimmende Einfluss der Mutterschaft:

Vier von fünf kinderlosen Frauen können ihren Lebensunterhalt mit dem eigenen Lohn bestreiten. Die grosse Mehrheit der Mütter ist dazu jedoch nicht in der Lage. Die finanzielle Abhängigkeit betrifft aber nicht nur die aktuellen Lebensumstände, sondern auch die langfristigen Perspektiven. So gibt denn auch jede fünfte Frau explizit an, sich eine Trennung vom aktuellen Partner aus finanziellen Gründen nicht leisten zu können.

Was das ideale Familienmodell angeht sind sich die Frauen der deutschsprachigen Schweiz sind sich einig, die Aufteilung der Erwerbsarbeit soll eine 80-Prozentstelle des Vaters und eine 50-Prozentstelle der Mutter sein.

Grundtenor: Zufrieden mit Abstrichen

Das Zufriedenheitsprofil unterscheidet sich stark nach Lebenssituation.

Insgesamt die grösste Zufriedenheit zeigt sich bei Frauen, die in einem Paarhaushalt ohne Kinder leben. Auch Frauen, die alleine leben, sind in mehreren Bereichen überdurchschnittlich zufrieden. Eher weniger zufrieden sind sie hingegen in den Bereichen Sexualität und Beziehungsleben.

Die annajetzt-Studie zeigt, dass neben politischen Massnahmen auch das Aufbrechen bestehender Werthaltungen eine wichtige Rolle für die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern spielen dürften.

Lena Schibli ist Mitglied der Redaktion Geschlechtergerechter.

Annajetzt Studie von Sotomo zum Download.