In Zürich und in Freiburg gibt es ihn seit neuerem: Den Menstruationsurlaub. Städtische Angestellte können bei starken Periodenbeschwerden an beiden Orten von der Arbeit fernbleiben. Dafür müssen sie kein ärztliches Attest vorlegen und erhalten trotzdem einen Lohn. Die Anzahl Tage, die pro Menstruationszyklus gefehlt werden kann, variieren: In Freiburg sind es maximal drei, in Zürich ein bis fünf Tage. Die Meinungen zu diesem «Urlaub» könnten nicht unterschiedlicher sein. Was die einen als grosse Chance für die Entstigmatisierung der Menstruation betrachten, sehen andere als Fallstrick, der zu weiterer genderbasierter Diskriminierung am Arbeitsplatz führt. Was also?
Woher kommt die Idee eines Menstruationsurlaubs überhaupt?
Was die Stadt Zürich aktuell als Pilotversuch durchführt und Freiburg Anfang Jahr politisch durchgesetzt hat, ist in anderen Ländern längst Praxis. In der Sowjetunion wurde bereits 1922 ein Menstruationsurlaub für Fabrikarbeiterinnen eingeführt, Japan kennt ihn seit 1947, Südkorea und Indonesien haben seit den 1950er-Jahren und Spanien seit 2023 einen solchen Urlaub. Urlaub ist dabei ein etwas irreführendes Wort, erinnert es doch an Freude, Entspannung und Leichtigkeit. Das komplette Gegenteil von dem, was die Menstruation für viele Frauen bedeutet: Krämpfe, Blutverlust, Verdauungsprobleme, emotionale Tiefs, Akne, Rücken- und Kopfschmerzen. Die Journalistin Linda Becker schreibt: «Würden diese Symptome nicht unter dem Label Menstruation laufen, würde jede*r zu Hause bleiben.»
Ist es also nicht völlig klar, dass frau bei besonders schmerzhaften Menstruationsbeschwerden von der Arbeit fernbleibt, so wie jeder kranke Mensch es auch tun würde? So einfach ist das nicht, denn die Menstruation ist keine Krankheit, erinnern Kritiker*innen des Menstruationsurlaubs. Und was ist mit Menschen, die an Krankheiten wie Endometriose leiden, die mit der Menstruation zusammenhängen? Diese Menschen können sich schon heute krankschreiben lassen, kommt die Antwort. Doch dafür braucht es eine Diagnose. Das ist gerade bei der Krankheit Endometriose keine einfache Sache. Im Schnitt vergehen sieben Jahre bis zu einer Diagnose (Mehr dazu findest du in unserem Beitrag und unserer Tour zu Endometriose). Sich für ein Attest monatlich zu Ärzt*innen zu schleppen, ist für die Betroffenen zudem mit zeitlichem Aufwand und höheren Kosten verbunden. Bei einem Menstruationsurlaub wäre das nicht länger nötig, denn dieser darf auch ohne ärztliches Attest bezogen werden. Das käme nicht nur die Betroffenen, sondern auch für die Krankenkassen günstiger.
Josef Widler, ehemaliger Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich, kritisiert in einem Interview mit der NZZ jedoch:Der Menstruationsurlaub führe zu verschiedenen «Klassen von Arbeitsunfähigkeit». Zudem widerspreche er dem Grundsatz des ärztlichen Zeugnisses: Angestellte sollen gegenüber ihren Chef*innen nicht offenlegen müssen, weshalb sie krank gemeldet sind.
Die Offenlegung von Menstruationsbeschwerden ist in dieser Diskussion der zweite springende Punkt. Es wird rege diskutiert: Was sind die Folgen dieser öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Menstruation? Erhält der weibliche Zyklus durch einen gesetzlich gesicherten Menstruationsurlaub mehr Aufmerksamkeit und wird damit entstigmatisiert? Oder ist das Gegenteil der Fall und führt diese Sichtbarmachung der Menstruation erst recht zu derer Stigmatisierung? Stehen Frauen, die einen Menstruationsurlaub brauchen, als weniger leistungsfähig da? An was wird diese Leistungsfähigkeit gemessen?
Kritiker*innen des Menstruationsurlabs haken genau da ein: Ein*e Arbeitgeber*in wird sich fortan gut überlegen, ob, sie*er eine menstruierende Frau einstellt – oder nicht doch lieber ein Mann. Denn Letzterer fällt weder wegen einer potenziellen Schwangerschaft noch wegen eines Menstruationsurlaubs bei der Arbeit aus. So steht zum Beispiel die Gewerkschaft UNIA einem Menstruationsurlaub kritisch gegenüber. Sie sieht darin eine Gefahr, dass genderbasierte Diskriminierung von Frauen im Arbeitsbereich zunehmen könnte. Die UNIA verbindet diese Befürchtung mit der Offenlegung des persönlichen Menstruationszyklus – einer bisher privaten Angelegenheit. Aber ist das Private nicht immer politisch? Frauen sind schliesslich nicht schuld daran, dass sie menstruieren, und die Gesellschaft ist ohne Frage auf die weibliche Fortpflanzungsfähigkeit angewiesen. Wäre es denn nicht Aufgabe der Gesellschaft, die Rahmenbedingungen für menstruierende Menschen so leidensfrei wie möglich zu gestalten?
Wenn die vielen Fragen und Diskussionen um den Menstruationsurlaub eines klar aufzeigen, dann wohl das: Patriarchale Strukturen prägen den Arbeitsmarkt und diskriminieren Frauen. Ist es nicht absurd, dass die Offenlegung von etwas so Natürlichem wie dem Menstruationszyklus zu mehr Diskriminierung gegenüber menstruierenden Personen führen soll? Zeigt das nicht viel eher auf, wie wichtig eine solche Transparenz für die Entstigmatisierung der Periode wäre? Zugleich soll die Gefahr verstärkter Diskriminierung selbstverständlich ernst genommen werden. Die allermeisten Menschen sind schliesslich von einem monetären Einkommen und somit auch von einer Arbeitsstelle abhängig. Müssen erwerbstätige Frauen demnach abwägen, was das kleinere Übel ist: Mit Schmerzen bei der Arbeit erscheinen oder als weniger leistungsfähig gelten und weitere Diskriminierung in Kauf nehmen? Müssen wir nicht eher an den Strukturen rütteln? Ja. Aber das dürfte wohl eine Weile dauern. Und in der Zwischenzeit? Lasst es uns mit dem Menstruationsurlaub doch einfach mal versuchen und schauen, ob und wie auf das Angebot zurückgegriffen wird! In der Hoffnung, dass es zur Entlastung derer beiträgt, die dies wirklich brauchen.
Anmerkung: Auch Menschen, die sich nicht als Frauen identifizieren, wie beispielsweise non-binäre oder trans Menschen, können menstruieren.
Lynn Kohli ist Teil der Redaktion von Geschlechtergerechter.