Quant3 Geschlechterrollen – Reportage

Mary Quant

Mary Quant gehört nicht zu den Frauen, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn es darum geht, Weltveränderinnen anzuführen. Doch Mary Quant hat nicht nur einen Adelstitel bekommen von der Queen, sie war eine bahnbrechende Designerin, Feministin und Gründerin eines Modeimperiums.

„Good taste is death. Vulgarity is life.”

Mary Quant

Provokant, unkonventionell, Grenzen sprengend. Gewagt und anders. Das war Mary Quant, die im April dieses Jahres im Alter von 93 Jahren friedlich zu Hause verstorben ist. Die Engländerin hat nicht nur den Minirock erfunden, ein Beispiel nehmen sollten wir uns an ihrer Unerschrockenheit, ihrer Experimentierfreudigkeit. Mit viel Mut und einer stupenden Selbstverständlichkeit ist sie aus viele Konventionen ausgebrochen.

1930 geboren wollte Mary Quant zuerst Tänzerin oder Designerin werden, auf Wunsch ihrer Eltern studierte sie jedoch Modeillustration am renommierten Goldsmiths College in London. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann und Geschäftspartner kennen, den exzentrischen Aristokraten Alexander Plunket Greene, mit dem sie auch einen gemeinsamen Sohn bekam.

Ihre Karriere in der Mode begann Mary Quant 1955 als Einkäuferin ihrer eigenen Boutique mit dem Namen Bazaar, die an der an der King’s Road im Distrikt Chelsea lag. Sie führte den Laden zusammen mit ihrem Ehemann und mit dem befreundeten Fotografen und Entrepreneur Archie McNair. Im Erdgeschoss des Ladens richteten sie ein einfaches Restaurant ein und schafften damit eine Shopping Erlebnis der besonderen Art.

Mary mochte jedoch die Kleider nicht, die im Grosshandel angeboten wurden, darum nahm sie die Sache selbst in die Hand. Als einfallsreiche und sachkundige Amateurin erschuf sie einen Archetyp der britischen Designerklasse, farbig, kreativ und exzentrisch.

Quant veränderte alles, und dies mit absoluter Konsequenz: Form, Farbe, Proportionen und Material. Sie kombinierte und gebrauchte vorher nie Dagewesenes, kühn, farbexplodierend, skandalös, und traf damit den Nerv der Zeit der vibrierenden Swinging Sixties. Anfang der 1960er erfand sie den Minirock, welcher als ihre grösste Kreation gilt. Diesen benannte sie nach dem Mini Cooper, ihrem Lieblingsauto. „Er tat alles, was man wollte, sah grossartig aus, war optimistisch und nicht zu bändigen, jung, kokett, genau richtig“, sagte sie einmal und meinte damit Rock wie Auto. Doch nicht nur die Röcke verkürzte sie herzhaft: einige Jahre später hatte sie auch Hot Pants im Angebot. Ungewöhnliche Materialien wie das futuristische PVC oder Elemente der Herrenmode fanden sich in ihren Designs. Ebenso in Mode brachte sie Jerseykleider, Loungewear oder grellfarbige Nylonstrumpfhosen, die unter dem neuen Look zu tragen waren.

Die Erfinderin des Look

Der „Look“, das Gesamtoutfit, war ihr ein grosses Anliegen. Anders als die meisten Händler und Händlerinnen jener Zeit, die sich auf eine bestimmte Kleidungskateogrie konzentrierten, verkaufte Quant Anziehsachen jeglicher Art. Ihr Geschäft entwickelte sich darüber hinaus zu einer eigenen kreativen und kulturellen Kraft. Ihr Laden wurde zum Erlebnisort, welcher Kunst, trendige Musik und Community auf eine für den damaligen Modehandel ganz und gar neuartige Weise bereitstellte. Mithilfe von dieser Vision und zusammen mit der Zurschaustellung ihres Stils durch Prominente wie das Supermodel „Twiggy“ oder Jean Shrimpton, ein anderes It-Girl der Zeit, schaffte sie es, die visuelle Kultur der 60er Jahre zu definieren. Ein unkonventioneller Stil war geboren, der Überschwänglichkeit, Sorglosigkeit und Rebellion gleichermassen ausdrückte. Ernestine Carter, eine damals bekannte Modekritikerin, sagte einmal: «Es gibt nur wenige Glückliche, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort und mit den richtigen Talenten geboren werden. In letzter Zeit gibt es drei: Chanel, Dior und Mary Quant.»

Kleider für die Freiheit

Mary Quant revolutionierte nicht nur die Mode, sie trieb simultan auch die Befreiung der Frauen vorwärts. Ihr Ansinnen war, Kleider zu entwerfen, in welchen die Frauen nach vorne und vorankamen, mehr Bewegungsraum erhielten, körperlich und damit auch gesellschaftlich. Kurze Röcke bedeuteten rennende und arbeitende Frauen, Frauen, die aus Gesellschaftsnormen ausbrachen. Zudem waren Quants erschwingliche Entwürfe für die serielle Produktion und Konfektionsgrössen bestimmt, die sich verschiedenen Körperformen anschmiegen konnten und wiesen somit eine hohe Zugänglichkeit auf. Quant weitete die Dimensionen und die Möglichkeiten der Weiblichkeit aus und verhalf mit ihrem Stil Millionen von Mädchen und Frauen zu einem selbstbefreiten und selbstbewussten Selbstausdruck.

Auch an ihrem eigenen Image hat Quant gefeilt: der Friseur Vidal Sassoon verkürzte ihr das ehemals lange Haar zu einem Schnitt, der an eine windschlüpfige Variante des Bobs aus den 20er Jahren erinnerte. Auch die Haare sollten sich, im Gegensatz zu den starren, mit Haarspray zementierten Frisuren der fünfziger Jahre, frei und unkompliziert bewegen können. Man musste sich, so Mary, auch nach einer Cabriofahrt oder gar einem Abstecher ins kalte Nass, keine Gedanken mehr darum machen, ob noch alles sitzt: ein Kopfschütteln reichte, und die Haare glitten wieder in ihre ursprüngliche Form zurück. Das Gesicht und der Look der Stilikone wurden berühmt wie ihre Marke selbst. Sie erzeugte eine Einheit von Modegestalterin und Brand Image, Logo – ein schwarzweisses Gänseblümchen – und Produkt. Auch darin war sie ihrer Zeit voraus.

Mary Quant wusste sich und ihre Produkte zu verkaufen. Die Geschäftsfrau hatte schon früh die Macht der Zusammenarbeit entdeckt. So kollaborierte sie mit stilbildenden Fotografen, Models und Friseuren, und der federführende britische Möbelhersteller und Designer Sir Terence Conran konzipierte den zweiten der drei Shops, die sie bis Ende der sechziger Jahre ins Leben rief. Ihr Einfluss dehnte sich weit über Englands Grenzen hinaus, gefördert durch ihre Partnerschaft mit dem amerikanischen Unternehmen JC Penney, das ihre Kreationen einem vollkommen neuen Publikum nahebrachte. Der Streifzug in Richtung Make-up und Haushaltswaren verlieh Quants Reichweite und Popularität einen zusätzlichen Schub; sie wurde zu einer Ikone in vielen Ländern auf der ganzen Welt.

Für Quants Beiträge zu Mode und Kultur wurde sie 1966 zur Officer of the Order of the British Empire und 2015 zur Dame Commander of the Order of the British Empire ernannt. Obwohl sie sich im Jahr 2000 offiziell als Direktorin ihrer Marke in den Ruhestand begab, wirken ihre revolutionären und zukunftsgerichteten Kreationen bis heute nach und beeinflussen Generationen von Designerkollegen, darunter etwa Betsy Johnson, Marc Jacobs oder Diane von Fürstenberg. Die 2019 vom Victoria & Albert Museum dargebotene Retrospektive betonte ausserdem Mary Quants dauerhaften Platz in der Mode- und Popkulturgeschichte.

“Fashion is not frivolous. It is a part of being alive today.”

Mary Quant

Und so leben die von Freiheit erzählenden Schöpfungen der Design- und Marketingpionierin weiter. Mary Quant, eine starke Frau, welche den Weg mit ihrer unendlichen Kreativität, ihrem unglaublichen Durchsetzungsvermögen und ihrem brillanten Geschäftssinn für viele andere geebnet hat.

Milosava Malinic ist Historikerin