Chronische Schmerzen 2 Intersektionalität – Blog

Ungehörter Schmerz

Wir müssen reden. Und zwar über chronischen Schmerz und psychische Gesundheit bei Frauen.

Frauen erleben chronische Schmerzen öfter, länger, stärker und in mehr Körperregionen als Männer. Sie machen 70 Prozent der Personen mit chronischen Schmerzen aus. People of color leiden ebenfalls häufiger an chronischen Schmerzen und psychischen Beschwerden (Studien dazu beispielsweise hier und hier). Frauen, und insbesondere Schwarze Frauen, sind einem erhöhten Risiko von starken und unbehandelten chronischen Schmerzen und zusammenhängenden psychischen Beschwerden ausgesetzt.

Woher stammt diese Ungleichheit und warum besteht diese fort?

Chronischer Schmerz und psychische Belastung

Chronischer Schmerz beeinflusst das Leben von betroffenen Personen auf mehrere Arten. Schmerzen aushalten zu müssen ist belastend. Dafür braucht man viel körperliche und psychische Energie, welche dann entsprechend für andere Zwecke fehlt; um beispielsweise einer Arbeit nachzugehen oder am sozialen Leben teilzunehmen. Auch erschweren chronische Schmerzen, sich aktiv um sich selbst zu kümmern.

Der Verlust von Arbeit und Einkommen, persönlichen Beziehungen und der Teilnahme an der Gesellschaft ist für Menschen emotional belastend. Diese Belastung kann Schmerzen verstärken. Wir befinden uns also in einem Teufelskreis von erlebtem Schmerz und emotionaler und psychischer Strapazierung, die sich gegenseitig erhöhen und bis zu psychischen Erkrankungen führen können. Mehr dazu kannst du in unserem Erfahrungsbericht «Chronisch krank» lesen.

Tieferer sozialer Status und Betroffenheit

Eine Erklärung für die höhere Betroffenheit von gesundheitlichen Beschwerden bei Gruppen mit tieferem sozialem Status ist, dass diese Gruppen mehr Belastungen ausgesetzt sind. Ihnen fehlen zusätzlich die Ressourcen zum Umgang damit. Die Belastungen summieren sich. Für Menschen, die ohnehin benachteiligt sind, wie etwa durch strukturellen Rassismus und Sexismus, ist der Zugang zu gesundheitsfördernden Lebensbedingungen aufgrund ihrer Identität beeinträchtigt. Sie haben beispielsweise oft Schwierigkeiten, sicheren Wohnraum und gut bezahlte Jobs zu erhalten. Auch der Zugang zum Gesundheitssystem ist erschwert. Die Diskriminierungserfahrung wird durch gesundheitliche Beschwerden noch verstärkt.

Hier kommt der Begriff Intersektionalität dazu. Damit ist das Zusammenwirken von verschiedenen Diskriminierungsformen gemeint. Also, dass diese sich gegenseitig beeinflussen und so neue Formen der Diskriminierung entstehen können. So erlebt eine Schwarze Frau mit unsichtbaren Beschwerden andere Reaktionen und Behandlungen, wie eine weisse Frau ohne Beschwerden.

Kurz gesagt: Chronische Schmerzen machen das Leben noch schwieriger – besonders für diejenigen, die bereits unter Ungleichheit und Benachteiligung leiden. Systemischer Rassismus und Sexismus tragen bereits vor dem Erleben von chronischen Schmerzen zu erschwerten Lebensbedingungen bei. Diese verstärken die negativen Auswirkungen der Erkrankung und machen den Umgang mit den Beschwerden noch komplizierter.

Eine unsichtbare Erkrankung

Der Umgang mit betroffenen Personen im Gesundheitssystem ist besonders wichtig bei der Behandlung von anhaltenden Schmerzen. Chronische Schmerzen sind eine bestrittene Krankheit, die von aussen meist unsichtbar bleibt. Die Unsichtbarkeit erschwert den Umgang mit und die Behandlung der Erkrankung. Um überhaupt behandelt zu werden, ist man nämlich als Patient:in abhängig davon, dass diese einem von einer ärztlichen Fachperson tatsächlich attestiert wird. Man muss dazu in seinem Erleben ernst genommen werden. Ist das nicht der Fall, wird es gefährlich: Unbehandelter und unzureichend behandelter Schmerz erhöhen den zusammenhängenden psychischen Stress.

Trotz dieser Notwendigkeit werden unsichtbare Beschwerden (insbesondere emotionale/psychische) häufig benachteiligt oder gar ignoriert. Die heutige medizinische Kultur unterbewertet nämlich emotionale Aspekte, die bei der Behandlung von (chronischen) Schmerzen notwendigerweise miteinbezogen werden müssen.

Ungleichheit im Gesundheitssystem

Gerade Patientinnen, werden in medizinischen Kontexten oft nicht gehört, gesehen, und ernst genommen. Das ist insbesondere bei einer unsichtbaren Erkrankung wie chronischen Schmerzen der Fall. Erneut ist diese Ungleichheit noch deutlicher bei Schwarzen Frauen nachweisbar. Das Zusammenspiel von systemischem Rassismus und Sexismus erschwert die Lebensbedingungen – und so auch den Zugang zu guter ärztlicher Behandlung für Schwarze Frauen. Ihre äusseren Lebensumstände werden in der Behandlung meist ignoriert.

Frauen, und insbesondere Schwarze Frauen leiden bei chronischen Schmerzen daher unter stärkeren Beschwerden und häufiger unter psychischen Erkrankungen.

Strukturelle Einflüsse müssen in die Behandlung miteinbezogen werden, um benachteiligten Gruppen tatsächlich die Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Struktureller Rassismus und Sexismus im Gesundheitssystem erschwert auf mehrfache Weise den Zugang zu guter Behandlung. Ein wichtiger Schritt für die Besserung der Situation wäre die Vermittlung von Informationen zu Machtverhältnissen und Diskriminierung im Gesundheitswesen für Gesundheitspersonal. Dieses könnten dann betroffene Personen bei der Behandlung bewusster mit Ressourcen ausstatten, statt ihnen kontraproduktiv noch mehr Belastungen aufzubürden.

Mehr zur geschlechtsspezifischen Ungleichheit im Gesundheitssystem kannst du an einem Beispiel in unserer Tour zu «Endometriose: Karriere einer Krankheit»nachlesen.

Bemerkung der Autorin: Schwarz ist eine politisch gewählte Selbstbezeichnung, die eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position beschreibt.

Lea Hofer ist freie Autorin bei Geschlechtergerechter.