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Sich nicht provozieren lassen

Emotionen kommen nicht einfach über uns. Wir können unsere Reaktionen steuern. Das gilt auch für Provokationen aus dem Internet.  

Extreme Meinungen und unanständige Posts erzeugen Klicks und hässige Reaktionen. Sei es in den sozialen Medien oder auf den Websites der traditionellen Medien, Meinungen werden oft so zugespitzt, dass sie selbst die entspanntesten Menschen aus der Reserve locken.

Aber muss das sein? Ist die Empörung tatsächlich stärker als wir, so dass wir keine andere Wahl haben, als uns richtig schön zu ärgern?

Wir können entscheiden

Als Mutter höre ich mich häufig zum älteren Kind sagen: lass dich nicht provozieren. Als ob es einfach wäre, nicht auf die Provokationen eines Kleinkinds reinzufallen. Und doch: «Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.» Das Zitat stammt vom Psychiater Viktor Frankl, der sich auf den arabischen Mystiker Rumi bezieht.

«Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.»
Viktor Frankl

Viktor Frankl

Es liegt an uns, ob wir auf eine Provokation reagieren und vor allem wie wir darauf reagieren. Es gibt hier durchaus einen Handlungsspielraum, den wir öfters nutzen könnten.

In einer Welt, die auseinanderdriftet und in der Hass und Hetze die Überhand zu nehmen scheinen, ist es wichtig, dass wir aus der Spirale von Provokation und Reaktion heraustreten und uns anders in den Diskurs einbringen. Es macht einen grossen Unterschied, ob wir dies mit strategischer Weitsicht tun oder mit einem emotionalen Kurzschluss.

Wenn wir versuchen würden, uns und die Situation zu reflektieren, könnten wir unsere Kräfte nämlich gezielt dort einsetzen, wo sie gebraucht werden.

Agieren statt reagieren

Bevor man auf eine Provokation hereinfällt, lohnt es sich, darüber nachzudenken, was mit der Provokation bezweckt wird. Häufig geben wir den Provokateuren mit unserer Reaktion genau das, wonach sie gesucht haben: viel Empörung, viele Klicks, viele Kommentare, viel Reichweite.

Nicht auf Provokation hereinzufallen, kann ein Akt der Rebellion sein.

Anders verhält es sich, wenn ein Post nicht nur irritierend, sondern auch verletzend oder diskriminierend ist. Hier ist es wichtig, dass wir Farbe bekennen und reagieren. Eine empathische Gegenrede und offene Solidarität mit den Betroffenen ist wichtig.

Es würde einiges verändern, wenn wir diejenigen, die bewusst provozieren viel öfters ins Leere laufen lassen und dafür dort, wo gehetzt wird, Flagge zeigen und vernünftig und empathisch reagieren. Nicht um unsere Wut rauszulassen, sondern um für unsere Mitmenschen einzustehen. Damit verteidigen und stärken wir das, was eine gute Demokratie ausmacht, und wir betreiben einen offenen Diskurs, an dem sich mehr Menschen gerne beteiligen.

Sophie Achermann ist Geschäftsführerin der Public Discourse Foundation und Vorstandsmitglied von Geschlechtergerechter.