Maennlichkeit1 Gewalt – Studie

Einzelkämpfer

Eine aktuelle Studie zeigt, wie unterschiedlich junge Männer mit Emanzipation und Gleichstellung umgehen. Was sie verbindet: ihre Vereinzelung.

Das deutsche Bundesfamilienministerium hat für eine qualitative Studie junge Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren befragt. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Junge Männer sind stark verunsichert. Alpha-Male-Influencer beeinflussen ihr Denken und Fühlen zunehmend. Die strategiegeleitete Bewirtschaftung männlicher Bedrohungsgefühle durch die politische Rechte hinterlässt Spuren. Auch die ambivalente politische Mitte zeigt sich zusehends empfänglich für antifeministische Perspektiven.

Antifeministische Einstellungen bei jungen Männern auf dem Vormarsch

Lange zeigten Befragungen zu Geschlechterthemen einen klaren Generationengraben: Ältere Männer äusserten sich eher traditionell, jüngere Männer eher fortschrittlich. So wuchs die Überzeugung, es sei bloss noch eine Frage der Zeit, bis die tatsächliche Gleichstellung zwischen den Geschlechtern verwirklicht sei. Doch diese Annahme muss als widerlegt betrachtet werden. Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, dass junge Männer wieder empfänglicher werden für antifeministische Denkfiguren und Ressentiments. Dies zeigen mehrere grosse quantitative Befragungen, wie etwa das Gleichstellungsbarometer, die Umfragen Spannungsfeld-Männlichkeit, und Männerperspektiven.

Deren Schwäche besteht allerdings darin, dass die Befragten jeweils nur die Zustimmung oder Ablehnung zu vorgegebenen Aussagen angeben können. Unklar bleibt dabei, wie die im Fragebogen gestellten Fragen genau verstanden wurden, welche Überlegungen zu einer Aussage geführt haben oder welche Gefühle beim Beantworten eine Rolle gespielt haben, etc.

Um diesbezüglich mehr Tiefenschärfe in die Analyse zu bringen, hat das deutsche Bundesfamilienministerium eine qualitative Befragung junger Männer in Auftrag gegeben. Die Resultate dieser Analyse wurden am 24. Januar 2025 in Anwesenheit der deutschen Bundesfamilienministerin Lisa Paus veröffentlicht. Sie verlieh dabei auch ihrer Sorge über die aufgezeigten Radikalisierungsdynamiken Ausdruck.

Sozialcharaktere von vorwärts und rückwärtsgewandten jungen Männern

Die von Carsten Wippermann durchgeführte Studie arbeitet auf Basis ausführlicher Gruppengespräche in verschiedenen Regionen Deutschlands fünf Sozialcharaktere jünger Männer heraus.

Zwei der fünf identifizierten Sozialcharaktere – der Typus «Empathie, Engagement und Entfaltung» und der Typus «Toleranz, Diversität und optimistische Selbstentwicklung» – befinden sich geschlechterpolitisch in der Vorwärtsbewegung. Die Befragten, die diesen beiden Typen zugeordnet werden können, unterstützen die Gleichstellung der Geschlechter und engagieren sich entsprechend.

Die Vorstellung, dass Männer weniger geeignet seien, um unbezahlte Haus- und Familienarbeit zu leisten, lehnen sie ab. Ihnen ist bewusst, dass gesellschaftliche Männlichkeitsvorgaben definieren, wie ein «richtiger Mann» zu sein hat – und gehen selbstbewusst und kreativ mit diesen Anforderungen um. Dazu gehört die Bereitschaft, ganz bewusst auch «unmännlich» zu handeln, wenn es den eigenen Neigungen und Bedürfnissen besser entspricht (auch wenn diese Abgrenzungsleistung viel Energie braucht). Individuelle Entfaltung spielt für diese beiden Typen eine zentrale Rolle. Diese jungen Männer pflegen freundschaftliche Beziehungen sowohl zu gleich- wie auch andersgeschlechtlichen Menschen. Wichtig ist ihnen, dass sie sich diesen auch in ganz persönlichen Angelegenheiten mitteilen können.

Zwei der fünf Sozialcharaktere – der Typus «Widerstandsclub für alte Stärke» und der Typus «Maskulistisch-faschistoide Performer» – befinden sich geschlechterpolitisch in der Rückwärtsbewegung. Diese beiden Gruppen haben viele Gemeinsamkeiten. Sie erleben es als Kränkung, dass traditionelle Männlichkeitseigenschaften wie Härte, Stärke und Leistungsorientierung zusehends problematisiert werden. Denn «Männlichkeit» ist für sie kein Produkt sozialer Aushandlungsprozesse, sondern ein Naturgesetz. Diesbezügliche Veränderungen stellen für sie generell eine Bedrohung dar, Fremde auch. Sie nehmen sich selbst als «ganz normal» wahr – und stellen verwundert fest, dass ihre eigene Normalität immer weniger die allgemeine Norm darstellt.

Zur Verteidigung des Eigenen darf auch Gewalt eingesetzt werden. Die Rollenteilung in der Familie bleibt retro: Haus und Familie ist Frauendomäne. Die Männer «helfen» bestenfalls auch mal mit. Ihre Partnerin solle aber «kein Hausmütterchen» sein, sondern eine nach aussen hin moderne Frau. «In ihrer Stellung als Mann sehen sie sich unangefochten als Kopf und Entscheider in der Ehe und Familie, ohne Konkurrenz durch ihre Frau: Der Mann ist Haupternährer und Oberhaupt der Partnerschaft und Familie», hält Studienautor Carsten Wippermann fest. Für die Kindererziehung propagieren sie einen autoritären, disziplinierenden Erziehungsstil. Geschlechtervielfalt gilt als Propaganda und wird abgelehnt. Diese Männer beklagen eine «Verrohung» der Gesellschaft, wobei diese Verrohung darin besteht, dass sie von übersensiblen Städtern und «weichgespülten Männern» dafür kritisiert würden, noch «echte Männer» zu sein.

Diesen interessanten Sensibiliäts-Twist beschreibt Wippermann wie folgt: «Die Rohheit der sogenannten woken Menschen bestehe darin, allzu sensibel und empfindlich zu sein, keine Robustheit zu haben, dafür aber in aller Brutalität und Unsensibilität anderen Vorwürfe und Vorschriften zu machen und die ganze Gesellschaft in alle Nischen hinein dirigieren zu wollen.» Das führe gar zu einem grundlegenden Misstrauen gegenüber demokratischen Prozessen und Institutionen.

Der grösste Unterschied zwischen den beiden Sozialcharakteren in dieser Kategorie: Männer im «Widerstandsclub für alte Stärke» haben eine eher geringe Schulbildung, überschaubare berufliche Erfolgsaussichten und leben oft in strukturschwachen Gebieten, vor allem im Osten Deutschlands. Die «maskulistisch-faschistoiden Performer» sind demgegenüber akademisch gebildet, selbstbewusst im Habitus und lässig im Auftritt.

Der fünfte Sozialcharakter – der Typus «Leiden an Ambivalenzen» – erlebt das frühe Erwachsenenalter als biografischen Übergang mit vielen Unsicherheiten. Das Lebensgefühl dieser Männer in der ambivalenten Mitte zwischen den Polen oszilliert «zwischen Selbstbewusstsein und Unsicherheit, Zielorientierung und Ausweglosigkeit, Moratorium und Vorwärtsmüssen, Erschöpfung und Bedrängtwerden». Sie fühlen sich von gesellschaftlichen Vorgaben normiert und eingeengt, beklagen eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und Intoleranz. In ihrer männlichen Identität streben sie nach Mitte und Ausgleich. Das verbinden sie aber nicht mit einer Verpflichtung zur Selbstfürsorge, sondern als Kampf gegen «zentrifugale Kräfte in der Gesellschaft, von denen sie sich umstellt, bedroht und gefordert» sehen. «Diesen machtvollen Parallelwelten müsse man widerstehen.»

Zu den extremistischen Akteuren dieser Parallelwelten zählt dieser Typus auch die Klimabewegung oder linksgrüne Parteien. Diese sei mitverantwortlich für die «kollektive Erschöpfung durch die Inflation normativer Diskurse, mit denen sich diese jungen Männer konfrontiert, kritisiert und aufgefordert sehen, ihr Leben und ihre Sichtweisen zu ändern.» In einer Partnerschaft verstehen sich die Männer in der ambivalenten Mitte als Teil eines Teams, in dem sie als Männer zwar grundsätzlich alle Arbeiten übernehmen könnten, es aber nicht müssen, solange sie nicht ausdrücklich dazu aufgefordert werden. Mannsein heisst für sie vor allem anderen: aktiv sein. Empathie, Sanftheit, Gefühlsoffenheit oder Selbstoffenbarungen werden als unmännlich abgewertet. Gewalt erleben sie in ihrem Alltag häufig – und finden gewalttätiges Verhalten entsprechend normal. Zur Selbstverteidigung ist Zurückschlagen für sie eine männliche Pflicht.

Fortschreitende Radikalisierung

Carsten Wippermann schafft es in seiner Analyse auf beeindruckende Weise, die «Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel» in der aktuellen Transformation gesellschaftlicher Männlichkeitsvorstellungen herauszuarbeiten. Gleichzeitig wird dabei deutlich, wie weit sich die Diskurse bereits verschoben haben – auch und gerade in der ambivalenten Mitte. Was als extremistisch wahrgenommen wird, machen die Rückwärtsgewandten und Ambivalenten nicht mehr an sachlichen Kriterien fest – also beispielsweise an der Frage, ob bestimmte Positionen die Demokratie fördern, den Wohlstand mehren, die Partizipation stärken oder bestehende Ungleichheiten verringern. Als extremistisch gilt vielmehr alles, was die eigenen Überzeugungen und Privilegien herausfordert. Somit zeigt sich deutlich, wie nachhaltig die strategiegeleitete Verunglimpfung all jener Kräfte bereits wirkt, die sich für eine wertebasierte Veränderung des kapitalistisch-patriarchalen Systems einsetzen. Dass es dieses System ist, welches das lautstark beklagte Unbehagen erst hervorbringt, bleibt jedoch verdeckt.

Aus einer geschlechterreflektierten Perspektive ebenfalls Besorgnis erregend ist das Ausmass, in dem Geschlecht – entgegen der wissenschaftlichen Evidenz – auf die Binarität Mann-Frau reduziert und Männlichkeit als gott- oder naturgegebene Tatsache konstruiert wird. Solch essentialistischen Deutungen von Männlichkeit bilden das Fundament für Frauenhass und männlichkeitsideologische Radikalisierung. Sie werden aber nicht nur von vielfalts- und demokratiefeindlichen Kräften verteidigt, sondern sind nach wie vor in der Mitte der Gesellschaft fest verankert, wie auch die Studie zeigt. Radikalisierungsprävention heisst in dieser Perspektive, die Gestaltbarkeit von Männlichkeit immer und immer wieder zu betonen. Die Kernbotschaft lautet: Geschlecht ist, was du daraus machst!

Gemeinsamer Nenner: Allein gelassen

Trotz aller Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Typen von jungen Männern auch Gemeinsamkeiten. Alle befragten Männer «wähnen sich in ihrer Gefühlslage der Zerrissenheit und Mehrdeutigkeit allein.» Die Tragik männlicher Sozialisierung reproduziert sich in den jüngeren Männergenerationen ungebrochen. Das unvermeidbare Scheitern an unerfüllbaren Männlichkeitsanforderungen wird als individuelles Versagen (miss-)verstanden und versteckt. Dadurch verwehren sich die jungen Männer aber der befreienden Erfahrung, dass alle Männer mit diesen Imperativen hadern – und letztlich daran scheitern. Deshalb erscheint ihnen aber auch die Suche nach Solidarität und Unterstützung als ein zu grosses Risiko. «Damit praktizieren sie ein geteiltes Leben: nach aussen die Darstellung normativer Männlichkeit (Mitspielen), nach innen das rational-emotional-moralische Entwickeln einer eigenen Geschlechtsidentität und Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit, sowie das solitäre Ringen mit den daraus empfundenen Ambivalenzen.»

In aller Komplexität ergibt sich so ein erstaunlich einfaches Bild, was junge Männer in dieser Situation brauchen: Orientierung und Begleitung – insbesondere im Erlernen eines liebevoll-zugewandten Umgangs mit sich selbst. «Die Befunde legen den Schluss nahe, dass neben sachlicher Aufklärung und Alltagshilfen vor allem professionelle psychosoziale Gefühlsarbeit gefordert ist, um junge Männer im Umgang mit ihren Ambivalenzen zu unterstützen und um präventiv zu verhindern, dass populistische rechtsradikale Propaganda die Gefühlsambivalenzen zur Produktion von Ressentiments (aus)nutzen.», wie Wippermann festhält.

Dabei warnt der Studienautor davor, junge Männer bloss zur Zielgruppe von Veränderungsappellen zu machen. Denn «die sozialen Schliessungen in lebensweltliche Submilieus haben zur partiellen Immunisierung und Robustheit gegenüber politischen und medialen Reizen, Stigmatisierungen und Appellen geführt.» Vielmehr müsse man mit den jungen Männern ins Gespräch kommen und ihnen ernsthaft zuhören. Dazu benötige es ein regional möglichst engmaschiges und auf Dauer finanziertes Netz von Anlauf- und Beratungsstellen mit offenen und begleiteten Kommunikations- und Dialogangeboten. Solche Männerberatungsstellen «dürfen nicht einfach die Aufgabe der Korrektur von ‘devianten’, Demokratie und Geschlechtervielfalt gefährdenden Sozialcharakteren sein. Stattdessen sollten die Beratungsstellen ein Ort des Dialogs für alle (jungen) Männer sein, ein Ort der Begegnung, des wechselseitigen Verstehens, des voneinander Lernens – und performativ damit des Aufbaus von Toleranz und Solidarität mit denen, die fremd und anders sind. Besonders in den Blick zu nehmen ist das vermutlich grosse, aber klandestine und öffentlich wenig thematisierte Segment der Männer, die individuell-solitär und meist ohne Unterstützung mit Ambivalenzen ihrer Lebensphase kämpfen.»

Markus Theunert ist Gesamtleiter des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterberatungsstellen (www.maenner.ch).

14.4.2025