«Gleichstellung ist wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft». Ein harmloser Satz, sollte man meinen – eine Aussage, gegen die sich eigentlich kein vernünftiges Argument anführen lässt. Trotzdem verneinen 27% der jungen Männer zwischen 18 und 29 Jahren, dass diese Feststellung zutrifft. Unter den «alten weissen Männern» sind es nur gerade 7%, die das so sehen.
Umgekehrt sind gut zwei Drittel der jungen Männer der Überzeugung, dass Gleichstellung bereits Realität sei: In der Familie sehen sie 68% als verwirklicht an, am Arbeitsplatz 69%, in der Politik 66%. Selbst in den Führungsetagen glaubt eine Mehrheit von 56%, es gäbe gar kein Gleichstellungsproblem mehr.
Logischerweise braucht es dann auch keine Massnahmen mehr, um Gleichstellung zu realisieren. (Auch wenn die Statistik unmissverständlich klar macht, dass Gleichstellung nicht verwirklicht ist: So leisten Männer insgesamt nur 38% der Haus- und Familienarbeit, halten aber 57% aller Parlamentssitze und verdienen pro Monat CHF 1'500 mehr als Frauen).
Diese Befunde, wie junge Männer gleichstellungspolitisch ticken, fügen sich ein in ein Gesamtbild, das uns dazu zwingt, unbequemen Tatsachen ins Auge zu schauen:
Gleichstellung kommt nicht von allein
Die Verwirklichung tatsächlicher Gleichstellung – so wie es die Schweizer Bundesverfassung unmissverständlich verlangt – setzt sich mit der Zeit nicht einfach von alleine durch. Es braucht kontinuierliche Anstrengungen, um die Legitimation von Massnahmen zur Förderung der Gleichstellung zu erhalten und zu stärken.
Ältere Generationen nicht allein verantwortlich
Die Annahme, es seien vor allem die in den 1940er- und 1950er-Jahren konservativ sozialisierten «alten weissen Männer», die Gleichstellung ausbremsen, trägt nicht. Zumindest auf Einstellungsebene hat sich gerade auch in diesen Generationen ein bemerkenswerter Wandel vollzogen (wenngleich der nicht mit entsprechenden Verhaltensänderungen einhergeht).
Jüngere Männer und das Übersehen von Privilegien
Unter jüngeren Männern erneuert und verstärkt sich die Bereitschaft, nach wie vor bestehende männliche Privilegien zu «übersehen» und damit auch die weitere Förderung von Gleichstellung als übertrieben oder sogar «männerfeindlich» abzulehnen.
In dieses Bild passen auch die Ergebnisse der jüngsten geschlechtergerechter-Studie zum Thema Toleranz. Gemäss diesen Daten sehen 42 Prozent der jungen Männer zwischen 18 und 35 Jahren keine besondere Relevanz und Notwendigkeit, Intoleranz zu bekämpfen. Nur 32% finden Toleranz gegenüber diversen Geschlechtsidentitäten und nur 49% gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen als besonders wichtig an. Das sind fast 20% weniger als bei den Frauen ihrer Generation.
Diese Daten sollten wir ernst nehmen, ohne in Alarmismus zu verfallen. Denn auch «die jungen Männer» sind keine homogene soziale Gruppe. Es braucht einen differenzierten Blick. Die Datenbasis legt nahe: Etwa ein Drittel der Männer befindet sich geschlechterpolitisch in der Vorwärtsbewegung. Sie nehmen die historische Herausforderung an und suchen Wege, um gern und fair Mann zu sein. Ein Drittel ist im Rückwärtsgang und will die Errungenschaften der Frauenbewegung rückgängig machen. Entscheidend ist das Drittel in der Mitte: Sie sind theoretisch für Gleichstellung, wehren aber praktisch jede Auseinandersetzung mit Männlichkeit, Privilegien und Patriarchat ab. Dadurch manövrieren sie sich in eine schwierige Lage: Für ihre gefühlte Fortschrittlichkeit erwarten sie Lob. Dass sie für ihr tatsächliches Festhalten an männlichen Privilegien kritisiert werden, erleben sie als Kränkung. Hier öffnet sich der Resonanzraum für antifeministische Ressentiments. Wir wären gut beraten, insbesondere auch diesen Jungen und Männern ein Angebot zu unterbreiten. Es sollte klar machen: Es gibt keinen Weg zurück – aber wir unterstützen euch auf dem Weg nach vorn.
Denn was für uns als Dachverband progressiver Männer- und Väterorganisationen offensichtlich ist: Wir lassen unsere Jungs viel zu sehr allein bei der Bewältigung der historischen Herausforderung, sich als Männer neu erfinden zu müssen. Genau das aber verlangen wir, wenn wir toxische Männlichkeit (zu Recht) kritisieren, ohne uns gleichzeitig intensiv um Antworten zu kümmern, was denn lebbare Alternativen wären. Naiv einzufordern, dass sich junge Männer «anständig» verhalten sollen, ist keine Lösung. Denn in der gleichgeschlechtlichen Peergroup bestimmen nach wie vor die Anforderungen traditioneller Alphamännlichkeit über den Rang in der Gruppenhierarchie. Und genau deshalb stossen Figuren wie Andrew Tate auf so grosses Gehör.
Das heisst konkret: Jungenpädagogische Angebote gehören flächendeckend in die Primarschule. Jeder 12-Jährige sollte zumindest drei zentrale Botschaften verinnerlicht haben:
Auch Männer werden nicht als Männer geboren, sondern zu Männern gemacht. Es gibt keinen natur- oder gottgegebenen Bauplan, der entscheidet, wie Männer sind.
Du darfst dein Mannsein so gestalten, wie es zu dir passt, wie es dir und deinen Nächsten guttut.
Du musst für dich klären, wie du verantwortungsvoll mit dem Umstand umgehst, dass in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft das Männliche nach wie vor strukturell privilegiert ist (auch wenn immer Frauen das patriarchale Powergame beherrschen).
Wichtig dabei ist: Es ist unzulässig, mit dem Finger einfach auf bildungsferne und sozioökonomisch abgehängte Jungen und Männer zu zeigen, die vermeintlich besonders archaischen Männlichkeitsvorstellungen aufsitzen. Denn männerrechtlerische Bedrohungsgefühle können bei jedem Mann andocken, der diese Botschaften nicht vermittelt bekommen hat. Wenn sie sich in der Folge gegen Gleichstellung wehren und sich männlichkeitsideologisch radikalisieren, ist das nicht nur ihr Problem, sondern ganz substanziell auch ein Versagen unserer Bildungspolitik.