Gewalt1 lr Prävention – Filmkritik

Frauenhass im Internet

Frauenhass im Internet ist weit verbreitet. Geschlechtsspezifische Gewalt nimmt neue Dimensionen an. Der Dokumentarfilm «Hass auf Frauen – Gewalt im Netz» von Guylaine Maroist und Léa Clermont-Dion zeigt dies anhand Erfahrungen vier Gewaltbetroffener auf.

Digitale Gewalt ist eine weit verbreitete Gewaltform. Besonders übel ist die geschlechtsspezifische Form, denn sie äussert sich durch digitale Belästigungen, Herabwürdigungen und Rufschädigungen, beispielsweise durch «slut-shaming» Identitätsdiebstahl wie «Rache-Pornografie» oder «Sextorsing», Vergewaltigungs- und Todesdrohungen oder Cyberstalking.

«Die Gewalt passt sich der Technologie an.»

Zitat aus dem Film «Hass auf Frauen – Gewalt im Netz»

Diese Art von geschlechtsspezifischer Gewalt ist dabei kein neues Phänomen, aber sie ist durch die Ausbreitung in den digitalen Raum noch viel gefährlicher und komplexer geworden. Und diese Gewalt kann alle treffen. Egal, ob es sich um eine öffentliche und politische Figur handelt oder um eine Schülerin und Studentin. Nichts schliesst eine Person von massiver geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt aus.

Der Film zeigt die Komplexität und Vielschichtigkeit der Gewaltbetroffenheit auf. Er macht aber auch deutlich, dass Betroffene von den zuständigen Institutionen, welche ihnen eigentlich Schutz und Unterstützung bieten sollten, im Stich gelassen werden. Als eine Betroffene ihren Peiniger bei der Polizei wegen Herabwürdigungen, Rufschädigung und Identitätsdiebstahl anzeigen möchte, findet sie auf dem Polizeiposten keine Unterstützung. Ratschläge, wie einfach aus den digitalen Medien zu verschwinden und keine öffentlichen Aussagen mehr zu tätigen, werden als Problemlösungen vorgeschlagen. Trotz der #MeToo Kampagne wird Betroffenen von Gewalttaten noch immer unzureichend geglaubt, immer noch werden sie selbst für die ihnen zugefügte Gewalt verantwortlich gemacht. Doch internationalen Studien zeigen, dass die Gewaltbetroffenheit von Frauen und Mädchen bei digitaler Gewalt besonders hoch ist. Da diese Studien stets mit binären Kategorien von Frau und Mann arbeiten, kann die Betroffenheit von Personen ausserhalb der binären Geschlechtervorstellungen ungenügend nachgewiesen werden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass deren Betroffenheit mindestens genauso hoch, wenn nicht sogar höher als bei cis-Frauen ist. Als cis-Frauen meine ich Frauen, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, tatsächlich auch identifizieren.

«Wir haben es normalisiert Frauen weder zuzuhören oder zu glauben.»

Zitat aus dem Film «Hass auf Frauen – Gewalt im Netz»

Digitale Gewalt kennt keine (Landes-)Grenzen

Hinzu kommt, dass Formen digitaler Gewalt in vielen Staaten nicht als Straftatbestände angesehen werden. Formen von digitaler Gewalt können somit oftmals nicht geahndet werden. Ein positives Beispiel, welches im Film aufgenommen wird, zeigt der durch Laura Boldrini, von 2013-18 Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, neu eingeführte Straftatbestand bezüglich Cybergewalt an Minderjährigen.

Cybergewalt kennt keine Landesgrenzen, das wird durch die Geschichten der Betroffenen aus unterschiedlichen Ländern deutlich. Dies bedeutet auch, dass der Kampf für eine gewaltfreie Gesellschaft international weitergeführt werden muss.

Alles hat System

Mir hat im Film die Thematisierung der strukturellen Ebene gefehlt. Solche Gewalt findet Nährboden in patriarchalen Strukturen, Abwertung von Frauen und ungleichen Machtverhältnissen und wird oft geradezu gefördert. Fragen wie; wieso existiert diese Form von (geschlechtsspezifischer) Gewalt, welche Strukturen fördern diese Gewalt, wieso finden Betroffene bei zuständigen Institutionen (beispielsweise bei der Polizei) keine beziehungsweise unzureichende Unterstützung oder was braucht es, um diese Gewalt einzudämmen, bleiben ungeklärt.

Der Film geht unter die Haut. Dies nicht nur wegen der thematisierten geschlechtsspezifischen Gewalt oder wegen den nachvollziehbaren Leidenswegen der Gewaltbetroffenen. Die Hintergrundmusik verleiht der Erzählweise einen bitteren und unheimlichen Nachgeschmack. Dadurch wirken die Leidensgeschichten noch viel persönlicher und ich konnte mich dem emotionalen Sog und der aufkommenden Wut schlecht entziehen. Zum Schluss hallt folgende Frage in mir nach: «Zu welchem Preis sprechen sich Frauen heute öffentlich aus?».

Schaue hier den Trailer: https://backlashthefilm.com/

Bist du von digitaler Gewalt betroffen? Du bist nicht allein. Melde dich bei Stop Hate Speech www.stophatespeech.ch oder bei einer Opferberatungsstelle www.opferhilfe-schweiz.ch/de/ .

Louise Alberti ist Projektmitarbeiterin und Teil der Redaktion von Geschlechtergerechter.