C’è ancora domani Prävention – Filmkritik

C’è ancora domani

Eine Ohrfeige und ein Funken Hoffnung!

Der Film beginnt mit einer Ohrfeige. Kaum hat sich Delia morgens im Bett zu ihrem Mann Ivano umgedreht und guten Morgen gesagt, klatscht es! Angesiedelt ist die Geschichte 1946 in Rom nach der Befreiung des Faschismus und erzählt das Leben der fünfköpfigen Familie in Schwarzweiss. Paola Cortellesi ist Regisseurin des Films und verkörpert Delia, die Hauptfigur gleich selbst. Mit ihrem Debüt ist es Cortellesi gelungen einen berührenden Film zu erschaffen, obschon die Geschichte nicht neu ist: sie erzählt von Armut, Gewalt und Machismo. Delia arbeitet rund um die Uhr: Sie kocht, wäscht, putzt, kauft ein, pflegt den respektlosen Schwiegervater. Nie wird ihr gedankt oder Wertschätzung entgegengebracht. Vielmehr soll sie ihre Arbeit still und demütig verrichten. Sie wäre eigentlich eine gute Ehefrau, wenn sie nicht so viel reden würde, meint beispielsweise der Schwiegervater zu seinem Sohn Ivano, der Delia schlägt, beleidigt, wahnhaft überwacht und das immer knappe und mühselig erarbeitete Geld versäuft oder für Prostituierte ausgibt. Das Verhalten von Ivano ist kaum auszuhalten und hinterlässt bereits während des Films eine riesige Wut in mir. Delias Familie ist arm, wohnt im Untergeschoss eines Arbeitergebäudes und kommt nur knapp über die Runden. Neben dem Haushalt und der Pflege des Schwiegervaters hilft Delia mit Gelegenheitsarbeiten die Familie über Wasser zu halten. Vom selbst erarbeiteten Geld zwackt sie jeweils etwas ab, um es auf die Seite zu legen. Ihr Mann darf davon nichts wissen. Es ist nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn er Wind davon bekäme! Es bleibt lange unklar, wofür Delia das Geld spart. Möchte sie mit ihrer Jugendliebe Nino durchbrennen? Sich endlich ein neues Kleidungsstück gönnen? Lange bleibt diese Frage unbeantwortet, was den Spannungsbogen hochhält und ruhiges Sitzen im Kino fast unmöglich macht.

Eines Tages erhält Delia einen mysteriösen Brief. Das ist unüblich, denn normalerweise ist die Post ausschliesslich für ihren Mann. Sie versteckt den Brief und das Filmpublikum weiss lange nicht, worum es geht, was die Spannung weiter ansteigen lässt.

Als Ausweg aus der bitteren Armut könnte die anstehende Verlobung von Tochter Marcella die Lösung sein. Marcella ist in den wohlhabenden und charmanten Giulio verliebt. Vater Ivano erhofft sich durch die Hochzeit ein besseres Leben für die Familie. Kurz nach der Verlobung kommt es zum Eklat. Delia vereitelt die Hochzeit, nachdem sie mitbekommt, dass Giulio nicht anders ist als Ivano; eifersüchtig und besitzergreifend. Sie wünscht sich für ihre Tochter eine andere, bessere und selbstbestimmte Zukunft. Die Tochter ist untröstlich und wütend auf ihre Mutter. So wie Delia möchte sie nicht enden, sagt sie.

«C’è ancora domani» heisst so viel wie «Es gibt ein Morgen». Der Film vermittelt trotz aller Gewalt und Härte eine hoffnungsvolle Botschaft. Am Ende gelingt es der willensstarken Protagonistin Delia ihr angespartes Geld ihrer Tochter zu vermachen, damit sie eine weiterführende Schule besuchen kann. Mit dem ominösen Brief schafft es Delia am Sonntag nach dem Gottesdienst doch noch in die Stadt, um (Achtung Spoiler!) zum ersten Mal an der Urne ihre Stimme abzugeben. Ihre Stimme, die in ihrem Zuhause von Ehemann und Schwiegervater und bis dahin auch in der Politik und in der Gesellschaft kein Gehör fand.

Der Film hat mich sehr berührt und besticht durch den schonungslosen Einblick in Delias Alltag. Obschon man nicht viel über Delias Innenleben erfährt, ist dank ihrer Präsenz und Ausstrahlung von Beginn weg eine Verbindung zu ihr spürbar.

Weniger gefallen haben mir die Slapstick-artigen Szenen, als Ivano Delia zuhause verprügelt. Diese werden von der Regisseurin als Tanz dargestellt und dienen wahrscheinlich dazu, die dargestellte Gewalt erträglicher zu machen.

Mit mehr als fünfeinhalb Millionen Zuschauer*innen war «C’è ancora domani» der meistgesehene Film im Jahr 2023 (mehr als Barbie!) in Italien und gehört somit zu den 10 meistgesehenen Produktionen der italienischen Filmgeschichte als erster Film einer Frau. Er scheint einen Nerv getroffen zu haben. Das liegt auch daran, dass es im November 2023 in Italien zum 106. Femizid kam; dem Mord an Giulia Cecchettin, der viele Menschen erschütterte und auf die Strasse trieb. In der Folge kam es zu grossen Demonstrationen und Kundgebungen, die auch international für Aufsehen sorgten.

Gewalt gegen Frauen ist leider auch heute noch ein aktuelles Thema. In Italien wurden letztes Jahr mehr als 100 Frauen ermordet; alle 72 Stunden stirbt eine Frau. Die meisten dieser Morde wurden durch (Ex-)Partner oder Angehörige verübt. Diese Femizide sind das Resultat patriarchal geprägter Gesellschaften.

Schau dir hier den Trailer an!

Laura Schwab ist Teil der Redaktion von Geschlechtergerechter.

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