Hornbachstrasse Ereignisse – Blog

Wo Wo Wohnige?

Am 25. Mai war Wohnungsdemo in Zürich. Wohnungsnot betrifft uns nicht alle gleich. Eine historische Einordnung des wohnpolitischen Kampfes alleinstehender Mütter.

Weder Wohnungsnotstand noch wohnpolitischer Protest ist jedoch neu für die Stadt. 1981 besetzte eine Gruppe von Frauen mit ihren Kindern eine Liegenschaft an der Hornbachstrasse. Ihnen ging es dabei nicht nur um bezahlbaren Wohnraum, sondern auch um Entfaltungsraum für alternative Lebensmodelle.

«Mir sueched sit zwöi Johr systematisch (…). Mit dä Ziit hend mir denn gmerkt… mer hend au viel läri Hüüser agschriebe, wo du gmerkt hesch, d’Bsitzer getroued sich nöd grad sofort zsege «Nei, es isch nüt» und korrespondiersch lang und nach emne halbe Jahr merksch eifach, dass sie dich nur hiihalted.» (Klicke hier für das Video, 10’-11’)

Videoladen Zürich, Hornbachstrasse

April 1981 reichte es den fünf Frauen mit Kindern schliesslich: Nach zwei Jahren aussichtsloser Wohnungssuche besetzte die Gruppe ein leerstehendes Haus an der Hornbachstrasse im Zürcher Seefeld. An der Besetzung nahmen auch acht Männer teil, im Vordergrund standen jedoch die fünf Frauen und ihre sechs Kinder. Anwesend war ebenfalls das Videoladen-Kollektiv mit ihrer Kamera und dokumentiert die Aktion. Die Aufnahmen zeigen: Der Frust war sichtlich gross. Von Übergangslösung zu Übergangslösung hätten sich die Frauen gehangelt, stets auf der Suche nach passendem Wohnraum. Doch mit der Zeit waren sogar diese temporären Wohnungsmöglichkeiten weggefallen und die entgegenkommenden Vermieter:innen ausgeblieben. Damals wie heute kam von Seiten der Politik nichts als leere Versprechen und Alibiübungen. Bezahlbarer Wohnraum für alternative Lebensformen – Grossfamilien und -wohngemeinschaften, insbesondere alleinstehende Mütter – im Stadtzentrum stand und steht immer noch unter Druck.

Jugendbewegung und Besetzer:innen

Diese Episode dient als Brennglas für die sich in den 1980ern wieder zuspitzende Wohnungsnot und die politischen Antworten einer neuen Generation an Aktivist:innen. Dabei war das Phänomen «Hausbesetzung» der Stadt Zürich weder neu noch unbekannt. Bereits in den 1970ern hatten erste Besetzungen stattgefunden. Doch im Zuge der Stadtzürcher Jugendbewegung der 1980er explodierten die Fälle. Es war auch in diesem Kontext, in dem die Besetzung zusehends ihren explizit politischen Charakter erhielt: antikapitalistische Forderungen verschmolzen mit dem Grundbedürfnis nach Wohnen, aber auch allgemein nach mehr Raum für alternative Lebensformen. Dabei waren die Grenzen zwischen Jugendbewegung und Besetzer:innenmilieu fliessend. Das Spektrum reichte von vollkommen in die «Bewegig» integriert über Grenzfälle bis hin zu komplett unabhängigen Gruppierungen. Bei zahlreichen Aktionen war dabei das Videoladen-Kollektiv zur Stelle und dokumentierte die Geschehnisse, mitunter mit dem Ziel eine Gegenöffentlichkeit zu bilden. So auch an der Hornbachstrasse.

«(…) dass dä Koller döt mal gseit het, «alleistehendi Fraue» und mer sind kein klassischi Familie. Mir händ gseit, mir sind «sechs Mütter und fünf Kinder» und eifach gwüssi anderi Lüüt, aber die wönd ja au läbe (…).» (Klicke hier für das Video, 08’)

Videoladen Zürich, Hornbachstrasse

Die Besetzungsaktion der Frauen der Hornbachstrasse zielte jedoch nicht nur auf die rein wohnpolitische Notlage in der Stadt Zürich ab. Es ging ihnen nicht darum, irgendeine Wohnung zu erhalten, sondern um Räumlichkeiten, die ihre konkreten Bedürfnisse stillen könnten. Ihre Kinder wollten sie nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reissen. Die Kindererziehung sollte gemeinschaftlich organisiert werden. So könnten sie auch weiterhin ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen und somit mehr persönliche Freiheiten für die einzelne Mutter erreichen. Implizit dahinter stand auch ein Widerstand gegen ein bürgerliches Familienmodell, das den Ehemann zum Alleinverdiener und zur einzigen Bezugsperson der Ehefrau im privaten Wohnraum erklärte. Der zeitgenössische Wohnungsmarkt, ja die gesamte Städteplanung war damals in vielerlei Hinsicht auf die heteronormative Kernfamilie als Massstab ausgerichtet.

Obwohl sich die Stadt langsam aus diesen traditionellen Strukturen zu lösen begonnen hat, bleiben die Forderungen nach diesen Wohnräumen bestehen.

«Wil mir händ denkt, es liit drinne, dass (…) und du chasch denn mittelfristig würklich öppis Lässigs finde ih de Stadt. Und zwar ih dem Quartier umenand, wil d’Kind gönd da id Schuel und hend schaurig de Plausch, oder. Und mit de Ziit händ mir gmerkt, dass das überhaupt nöd drinne liit. Du chasch mache, was du wotsch, du findsch eifach nüt.» (Klicke hier für das Video, 11’-12’)

Videoladen Zürich, Hornbachstrasse

Der Fall der Besetzerinnen der Hornbachstrasse illustriert damit gleich zwei brandaktuelle Themenkomplexe: Einerseits befinden wir uns heute in einer Wohnungskrise in einem Ausmass, wie es die Schweiz seit den 1990er-Jahren nicht mehr erlebt hat . Sowohl damals als auch heute sind Wohngemeinschaften egal welcher Art mitunter als Antwort auf die fehlende Bezahlbarkeit zu verstehen. Diese Frauen kämpften für ihr Recht auf bezahlbare Wohnungen und dafür, dass sie nicht an die städtische Peripherie verdrängt würden. Ihre Kinder sollten in ihrem gewohnten Quartier aufwachsen können. Eine Forderung, die beunruhigend vertraut scheint. Doch andererseits entschieden sich die Besetzerinnen nicht nur aus blosser Notwendigkeit zu diesem kollektiven Wohnverhältnis. Es war für sie eine prinzipielle Angelegenheit. Sie wollten sich nicht in eine Geschlechterrolle zwängen lassen, die ihnen entweder die Funktion als Ehefrau oder als alleinerziehende Mutter zuordnete. Stattdessen traten sie für ein alternatives Verständnis von Care-Arbeit und deren Organisierung ein. Sie widersetzten sich dem auch heute noch vorherrschenden gesellschaftlichen Reflex, Single-Mutter mit alleinerziehender Mutter gleichzusetzen. Doch dieser Blick in die Vergangenheit böte Alternativen, welche die Hauptlast der Care-Arbeit von der einzelnen Frau, der einzelnen Mutter abnehmen und somit Kindererziehung von einem Einzelkämpfer:innentum in ein Kollektivprojekt wandeln können. Die Besetzerinnen der Hornbachstrasse sind hierfür als Vorkämpferinnen zu verstehen. Dafür müssen Alternativen jedoch nicht nur denkbar, sondern auch vorgelebt und bezahlt werden können. Für einen Wandel zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft, braucht es auch Platz für Experimente – dies gilt auch für Wohnraum. Wenn es der Markt nicht schafft, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wird eine Zunahme an Besetzungen zusehends wahrscheinlicher. Und wer könnte es ihnen wohl verübeln?

Elia Stucki ist freier Autor bei Geschlechtergerechter.

Bildnachweis: Schweizerisches Sozialarchiv, F 5107-Na-11-158-011