Niemand hatte mir gesagt, dass es die stete Auseinandersetzung mit dem Chaos sein würde. Die gefühlt fünfhundertste Aufforderung, die Haustür zu schliessen und die Jacke nicht einfach im Flur auf den Boden liegen zu lassen. Die vielen kleinen Handgriffe (Schranktür zu, Kissen zurück aufs Sofa, kleines Abfallstück aufgehoben, Bücher ordentlich gestapelt), die bei mir verinnerlicht sind, bei den jüngeren Familienmitgliedern aber ganz offensichtlich nicht. Der Kampf gegen die Windmühlen der Unordnung, die vielen kleinen Schlachten um den Wohnzimmerboden, den Küchentisch, das Kinderzimmer.
Ich hatte sicherlich keine überromantische Vorstellung des Vaterdaseins. Mit vielem Unangenehmem hatte ich gerechnet: mit Schreinächten und dauerkranken Kleinkindern, mit ekliger Wäsche und nicht enden wollenden Hütetagen. Darauf war ich eingestellt, und war mir auch klar, dass ich einen grossen Teil davon übernehmen würde. Und natürlich gehörte all das und noch viel mehr auch dazu, aber irgendwie war es letztlich doch weniger arg als befürchtet und es wurde von vielen ebenso schönen Momenten aufgewogen. Was mir aber immer noch zu schaffen macht, ist das ständige Aufräumen hinter meinen Kindern.
Eigentlich war ich nie ein Ordnungsfanatiker (und bin es meiner Meinung nach noch heute nicht). Als Kind lebte ich immer in einem von allerlei Spielzeug übersäten Zimmer (rückblickend bin ich erstaunt, dass meine Eltern dies toleriert haben). Anfangs meiner Studentenzeit wurde die WG-Küche nur einmal wöchentlich aufgeräumt. Hätte man mich vor ein paar Jahren gefragt, ob ich eher ein Vater sei, der viel auf piekfeiner Ordnung hält, oder einer, der gerne etwas Unordnung toleriert, um den Kindern lieber Bücher vorzulesen – ich wäre total überzeugt gewesen, die zweite Art von Vater zu werden. Nun musste ich erstaunt merken, dass ich doch Züge der ersten Art angenommen hatte.
Natürlich ist das alles ein Spektrum und unsere Wohnung ist auf dem Chaos-Ordnungs-Kontinuum doch noch ziemlich weit auf der unordentlichen Seite. Bei zwei berufstätigen Elternteilen kommt der Haushalt immer wieder einmal zu kurz, und tüchtige Hausmänner würden unschwer Staub und verschmierte Fenster entdecken. Und doch gibt es offensichtlich einen gewissen Minimalstandard, ohne den zu leben ich schwer finde: Wohnungstüre zu, Jacken aufgehängt, Esstisch frei, nicht mehr gebrauchte Dinge zurück an ihren Platz.
So versuche ich also seit Jahren relativ erfolglos, unsere Kinder dazu zu bringen, diesen Standard einzuhalten. Als die Kinder ganz klein waren – das war auch mir klar – war es natürlich wenig zielführend, sie zum Aufräumen zu ermahnen. Nun ist aber mehr als ein halbes Jahrzehnt vergangen und mittlerweile glaube ich, dass die Resistenz gegen die väterlichen Ordnungsstandards Methode hat. Bis jetzt habe ich aber nicht herausgefunden, woran es liegt: Ist es pure Zielstrebigkeit («Ich brauche den Leim und den habe ich jetzt – warum soll ich also die Schranktür wieder schliessen …»)? Oder eher eine subversive Unterwanderung meiner Standards («Offene Schranktüren sind sowieso besser, so muss man sie nicht immer öffnen, wenn man etwas braucht.»)? Und natürlich gibt es auch jeweils die Momente der offenen Rebellion, wenn der 7-Jährige sich weigert, sein Chaos aufzuräumen, und die 5-Jährige gerade in dem Moment «gaaaanz müde» wird.
Die Farbstifte auf dem Tisch und die Kleidungsstücke am Boden halten mich also weiterhin beschäftigt, und ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich selbst hinter den Kindern aufräume – ganz einfach, weil es so schneller geht und dann besser gemacht ist und letztlich doch weniger anstrengend ist, als wenn ich zuerst die Kinder dazu bringen müsste. Und nicht zuletzt auch, weil ich dann eben doch noch die Geschichte vorlesen möchte und mich ärgern würde, wenn es dafür nicht reichte.
Immerhin bin ich kein Einzelkämpfer. Nie habe ich das so stark gemerkt wie in der Zeit, als meine Frau mehrere Wochen im Spital und ich mit den damals zwei Kindern allein war. Damals wusste ich stets, dass ich die einzige in Frage kommende Person war, die das Buch aufheben oder das verschüttete Wasser putzen würde. Nun sind wir meist zu zweit und können uns abwechseln beim Aufräumen, beim Motivieren zum Aufräumen – und dann auch beim Vorlesen der Bücher.