Männlichkeit ist oft mit festen Erwartungen und Rollenbildern verknüpft. Christoph Gosteli zeigt in einem persönlichen Gespräch auf, was Männlichkeit für ihn bedeutet, wie Gewalt und Männlichkeit zusammenhängen und was er sich bezüglich Geschlechtergerechtigkeit für die nächste Generation wünscht.

Männlichkeit hinterfragen
David Fürst: Was bedeutet für dich persönlich Männlichkeit?
Christoph Gosteli: Ich lehne Männlichkeit als festes Konzept ab – doch ich kann mich ihrer gesellschaftlichen Wirkmacht nicht entziehen. Selbst wenn ich mich nicht als klassischen Mann verstehe, werde ich so gelesen – mit den damit verbundenen Privilegien und Zuschreibungen. Die Frage ist nicht, ob ich Männlichkeit ablegen kann, sondern wie ich mit dieser Realität umgehe.
Zugrunde liegt dabei ein Verständnis von «Männlichkeit» als einem Bündel kulturell vermittelter Anforderungen, die ein Mann erfüllen muss, um als «männlich» zu gelten. Dazu gehören etwa Erwartungen wie emotionale Zurückhaltung, Dominanz, körperliche Stärke, Rationalität oder auch die Abgrenzung von allem, was als feminin gilt. Diese normativen Vorstellungen prägen nicht nur das Selbstbild, sondern auch das Verhalten im Alltag – sei es in zwischenmenschlichen Beziehungen, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum.

David Fürst: Wann ist es von Vorteil ein Mann oder eine Frau zu sein?
Aus meiner Perspektive als weisser Cis-Mann hat es viele Vorteile. Raewyn Connell spricht dieszbezüglich von einer Patriarchen-Dividende. Ich wurde beispielsweise in meinen ganzen Leben bisher zwei Mal sexuell belästigt. Meinen Freundinnen und Kolleginnen kann das an einem einzigen Abend passieren. Der Vorteil, eine weibliche Person zu sein? Das wäre anmassend aus meiner Perspektive.
David Fürst: Was wünscht du dir bezüglich Geschlechtergerechtigkeit für die nächste Generation?
Christoph Gosteli: Es geht nicht darum, Männer mit Vorteilen zu locken, sondern um Gerechtigkeit. Ein gerechteres Gesellschaftsmodell bedeutet keinen Verlust, sondern für Männer und Frauen neue Möglichkeiten: mehr Freiheit, tiefere Beziehungen, weniger Druck. Wer sich von alten Rollenbildern löst, hat mehr zu gewinnen als zu verlieren.

David Fürst: In unserer Gesellschaft erstarken Maskulinitätsbewegungen, die problematische Männlichkeitsbilder propagieren. Wie soll unsere Gesellschaft damit umgehen?
Christoph Gosteli: Gerade in einer Zeit, in der antifeministische Bewegungen immer lauter werden, müssen sich auch Cis-Männer fragen: Auf welcher Seite stehe ich? Unterstützen wir solche (als überwunden geglaubte) Vorstellungen wieder oder lehnen wir diese entschieden ab? Verstehen wir uns sogar als Teil einer emanzipatorischen, feministischen Bewegung? Werden wir nun aktiv oder lassen wir dem aktuellen Diskurs seinen Lauf, auch wenn er uns im Grunde nicht entspricht? Verunsicherung kann dabei der erste Schritt sein – aber das reicht nicht.
Nach der Reflexion muss die konkrete Handlung kommen. Und oft ist es eigentlich ganz einfach: Als Mensch und Mann soll man sich respektvoll verhalten. Das bedeutet, nicht wegzusehen, wenn andere sich danebenbenehmen, Grenzen respektieren und Verantwortung übernehmen. Gerade als Cis-Mann mit Privilegien habe ich die Wahl, ob ich aktiv für eine gerechtere Gesellschaft einstehe oder einfach schweigend Teil des Problems bleibe.
David Fürst ist Fotograf und Autor bei Geschlechtergerechter.
09.05.2025



