David attenberger 2025 4 menschenbilder – Kolumnen

David Attenberger

(they / them), Tänzer*in, Schauspieler*in und Performer*in

Das Spektrum von Davids Rollen reicht von Fussballhooligan über Kris Jenner bis zur Bundesrätin. Wie sieht ein Mensch, der in Sachen Gender neugierig und flexibel bleibt, das Thema Geschlechterrollen?

Was bedeutet für dich persönlich Männlichkeit bzw. Weiblichkeit?

Ich verstehe Geschlecht weder als Binarität noch als Linie von rechts nach links; Männer links, Frauen rechts, und dazwischen sind die Nicht-Binären. Eher als ein riesiges Auslagefeld von sich überschneidenden Möglichkeiten oder Spielarten. Eine Sammlung an Ressourcen, auf die eigentlich jede Person jederzeit zurückgreifen kann. Nur dass wir im besten Fall aufhören, das zu tun, was wir seit frühster Kindheit gesagt bekommen: “Du bist ein Mann, du bist eine Frau und deswegen machst du das und das so, und das und das anders.”

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Magst du über deine persönliche Sozialisierung sprechen?

Meine Erinnerungen an mein Kindheits-Ich sind vor allem Erinnerungen an ein weiches Kind. Durchlässig, sehr zärtlich. Ich habe zum Beispiel früh gerne andere Menschen umarmt. So stand ich teilweise morgens vor der Schule und umarmte andere Kinder zur Begrüssung. Spätestens mit der Pubertät setzt dann eine Art Bestrafungssystem ein, mit dem Kinder sich aufgrund gewisser Verhaltensweisen schlecht behandeln. Ich wurde schon immer als Junge gelesen, aber zwischenzeitlich halt als sehr weicher Junge, denn ich hatte lange Haare, eine runde Brille und ein dickliches Gesicht. Als dann die Beleidigung „Schwuchtel“ auftauchte, musste ich innerhalb kürzester Zeit Strategien entwickeln, um weiteren Ausschluss und härtere Bestrafung vermeiden. Ich sorgte so gut es ging für einen anderen Stil. Ich trug Kontaktlinsen, begann meinen Kleidungsstil zu verändern, körperliche Nähe zu vermeiden und anders zu sprechen. Dazu betrieb ich eine heterosexuelle Performance bis ins Unglaubwürdige - aus heutiger Perspektive unbegreiflich, aber als Kind versucht man ja alles, um sich zu retten. Heute glaube ich, dass ich immer noch versuche, in diese ursprüngliche, zarte Version von mir zurückzufinden. Da ich einen Teil von mir abgeschnitten habe, ist ein Verlust passiert, Dieser Schnitt war so massiv, dass das Zurückfinden vielleicht noch ewig dauern kann, sofern es überhaupt möglich ist.

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Inwiefern spielt Geschlecht für deine Arbeit eine Rolle?

Ich glaube, in dieser Frage liegt der Grund für die vielen unangenehmen Performances von Männern, die als Frauen besetzt werden, und umgekehrt. Oder generell Menschen, die entgegen ihrer Geschlechtsidentität besetzt werden. Es wird zu sehr über das Geschlecht der Figur nachgedacht. Es ist für mich eine Art unnötiger Umweg, um Dinge zu erzählen. Für mich geben zum Beispiel Kostüm oder Maske vor, wie ich etwas spiele; das macht etwas mit meiner Körperlichkeit. Vor allem die Schuhe: als ich im Stück „EWS“ Eveline Widmer-Schlumpf spielte, waren es Pumps, dazu der Bleistiftrock, der Blazer. Alles, was ich in so einem Kostüm anbiete an szenischen Vorgängen oder Ideen, funktioniert schon prinzipiell anders, als wenn ich das in Turnschuhen mache. Ich versuche, nicht auf irgendwelche Vorstellungen von Geschlecht zurückzugreifen, sondern mir zu überlegen: Wie gibt sich diese Person, wie lächelt sie, wie verhält sie sich in einem Raum mit anderen Menschen? Wie würde mein eigener Körper mit all dem umgehen?

Wer sind deine Vorbilder?

Menschen, die in ihrem Selbstverständnis schon mit Genderrollen gebrochen hatten, bevor ich es konnte. Die Personen, die mich seit der Volljährigkeit stark geprägt haben, waren fast ausschliesslich queere Menschen, genderqueere Personen oder Transpersonen. Ich muss an Lou denken, die mir so viel über Recklessness und Radikalität gezeigt hat. Dann definitiv Kairo, mit dem ich eine zweite queere Adoleszenz machen durfte. Brandy Butler hat eine riesige Rolle in meiner Entwicklung und meinem Verstehen von Wahlfamilie gespielt, und tut es immer noch täglich. Und dieses Jahr ist zu hundert Prozent Ivy Monteiro mein Vorbild, da they mir ihren grossartigen Humor gezeigt hat, aber auch, das Bedürfnis nach Rückzug und Ruhe zu normalisieren.

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Was wünscht du dir bezüglich Geschlechtergerechtigkeit für die nächste Generation?

Wahrhaftige und tatsächliche Freiheit, und zwar für alle. Ich habe das Gefühl, äusserliche Kleinigkeiten lösen sich schon eine Weile auf; als ich noch ein Teenager war, waren Äusserlichkeiten und Codes noch so krass bedeutsam: Rechter Ohrring schwul, linker Ohrring okay, weil nicht schwul, links und rechts Ohrring – was soll das sein? Aber wenn wir uns jetzt umgucken, habe ich das Gefühl, es wird eigentlich immer flächendeckender und offener damit umgegangen, inzwischen auch in Kontexten ohne queere Selbstzuschreibung…

Dasselbe mit lackierten Fingernägeln, nicht wahr?

Ja, wobei gehören die lackierten Fingernägel nicht schon fast wieder zum linken feministischen Macker? Das wurde schon fast wieder so gecodet von so einer ganz fragwürdigen Gruppe… Wie so oft halt eine Aneignung von queeren Symbolen oder Erkennungszeichen. Queere Menschen machen es vor, und am Anfang finden es alle komisch, und man riskiert auf der Strasse sein Leben für so einen Scheiss, aber dann gibt man der Sache ein paar Jahre, plötzlich wird es Fashion, und wir müssen uns schon wieder was Neues überlegen. Das muss langsam aufhören, either leave queer and trans people alone or make them president!

Text von Cesare Macri, er ist Autor bei Geschlechtergerechter

07.10.2025