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«mamibrennt»

Aus Frauensolidarität entsteht eine Community-Plattform für berufstätige Mütter.

Mütter sollen brennen. Für die Erziehung ihrer Kinder und ihren Beruf, so zumindest der gesellschaftliche Anspruch. Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach schreibt dazu in ihrem Buch «Die Erschöpfung der Frauen», dass das «System alles von Frauen erwartet, aber nichts zurückgibt.» Wo findet sich also Unterstützung, solange das System so ist, wie es ist? Darüber, und über notwendige Reformen, um zu verhindern, dass Mütter in der Schweiz ständig am Rande eines Burnouts balancieren, habe ich mit Julia Panknin gesprochen.

Sie ist ehemalige Betroffene eines Parental Burnouts sowie Gründerin der Community-Plattform «mamibrennt.com». Diese richtet sich an berufstätige Mütter, die sich für den täglichen Spagat zwischen Lohn- und Care-Arbeit entschieden haben. Als Journalistin, Speakerin, Business Consultant und Mentorin setzt sich die ehemalige Strategie-Leiterin eines Medienunternehmens heute für Strukturen ein, in denen Lohn- und Care-Arbeit vereinbar sind.

Julia, was müsste sich in der Schweiz verändern, damit die Kombination von Lohn- und Care-Arbeit möglich ist, ohne dass es zu Erschöpfung oder gar zu einem Parental Burnout kommt?

Da gibt es sehr vieles. Ich glaube jedoch, dass die Wurzel unserer Probleme die Tatsache ist, dass noch zu viele Menschen denken, Führsorge sei eine von «Natur aus» rein weibliche Aufgabe. Die damit verbundene Care-Arbeit wollen und sollen Frauen demnach gratis übernehmen. Solange sich der Mythos des «Mutterinstinkts» in den Köpfen hält, laut dem nur Mütter wissen, was das Beste für ihre Kinder ist, bleiben Veränderungen aus. Bis Care-Arbeit als echte und verdammt anstrengende Arbeit anerkannt wird, ohne die die Wirtschaft keinen Tag überleben würde, bleibt es für Familien, die Lohn- und Care-Arbeit vereinen wollen oder müssen, schwierig und erschöpfend.

Wie können wir dem entgegenwirken?

Wir als Gesellschaft brauchen einen allgemeinen Mindset-Change, der so auch Wirtschaft und Politik umfassender erreicht. Damit wir sowohl im Privaten als auch im Beruflichen die Gleichstellung der Geschlechter hinbekommen, müssen sich diese Akteur*innen endlich bewegen. Es braucht zum Beispiel endlich eine ausreichend lange und finanzierte Elternzeit für alle Geschlechter, aber auch bezahlbare und flächendeckende Betreuung, Teilzeit- und Job-Sharing-Möglichkeiten in allen Branchen, Massnahmen zur Bekämpfung des Gender Pay und Pension Gaps wie transparente Löhne, Individualbesteuerung sowie die finanzielle Absicherung und Vorsorge für Care-Leistende, um nur einige wichtige Dinge zu nennen.

Damit diese Veränderungen in Gang gesetzt werden, müssen wir uns auch auf der individuellen Ebene bewegen. So sollte Frauensolidarität im privaten und beruflichen Umfeld offen gelebt werden, indem wir einander wertfrei zuhören, uns auffangen und bestärken. Dazu gehört auch, dass wir Menschen als Individuen ernst nehmen. Wenn sich jemand öffnet, hilft es nicht, wenn die Person darauf hingewiesen wird, dass «andere das auch durchgemacht haben.» Besser wäre es doch, einen systemischen Fehler zu beheben. Hierfür müssen wir alle Veränderung laut einfordern. Dazu gehört auch, am eigenen Selbstwert zu arbeiten, sich von den von aussen aufgelegten Erwartungen abzugrenzen und schlussendlich die eigenen Scham- und Schuldgefühle abzulegen. Fight Mom Guilt, sage ich da nur! Auch Väter sollen dabei unterstützen, indem sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für sich selbst einfordern und Unternehmen so auf das Bedürfnis hinweisen. Wer in der privilegierten Lage ist, also Zeit und finanzielle Mittel hat, sollte sich auf jeden Fall politisch engagieren.

Wie kam es dazu, dass du dich genau für diese Themen einsetzt?

Ich habe mich 2022 in einem Post auf der Business-Plattform LinkedIn als Burnout-Betroffene geoutet. Daraufhin erhielt ich unzählige Rückmeldungen von Müttern, die sich endlich offen über ihre Herausforderungen austauschen wollten. Die Nachrichten waren so zahlreich, dass ich sie nicht mehr alle selbst beantworten konnte, ohne ein weiteres Burnout zu riskieren. Deshalb habe ich «mamibrennt» gegründet und andere Frauen mit unterschiedlichen, für die Zielgruppe wichtigen Expertisen, als Kooperationspartnerinnen mit an Bord geholt. Gemeinsam arbeiten wir nun seit März dieses Jahres auf den verschiedenen Ebenen - auf der persönlichen mit Betroffenen, mithilfe von Medienbeiträgen auf gesellschaftlicher sowie als Beraterinnen in Unternehmen auf wirtschaftlicher - an der Vision, selbstbestimmte Vereinbarkeit für alle Eltern in der Schweiz endlich Realität werden zu lassen.

Mit welchen Anliegen kommen die Frauen konkret zu euch?

Die Anliegen sind divers, genau wie unsere Mitglieder. Es geht u.a. um Partnerschaftsprobleme, Schlafmangel, Regretting Motherhood (bereuen der Mutterschaft), Kinder mit besonderen Bedürfnissen, toxische Firmenkulturen, Sexualität, (psychische) Krankheiten, elterliche Wut, Muttertät (Übergangsphase nach Geburt), Zyklus und Hormone, und vieles mehr.

Wie muss ich mir eine Interaktion auf «mamibrennt» vorstellen?

Unsere Member posten ihre Fragen und Anliegen auf die Wall innerhalb von mamibrennt.com, auf die dann alle Community-Mitglieder antworten können. Oft vernetzen sie sich auch mithilfe von privaten Nachrichten, die über die Plattform ausgetauscht werden können. Oder sie treffen sich an unseren zahlreichen Live-Events.

Und das funktioniert? Könnt ihr alle Fragen beantworten?

Wenn Fragen aufkommen, die nicht direkt von der Community oder vom mamibrennt-Team beantwortet werden können, organisieren wir externe Expertinnen, die die gesuchten Antworten haben. Wir reichen Betroffenen die Hand, geben Tipps zur Prävention und ermutigen, sich bei Bedarf auch professionelle Hilfe zu holen. Bei unserer Community geht es vor allem darum, sich gegenseitig zu unterstützen, schnelle Entlastungsstrategien kennenzulernen sowie die richtigen Stellen zu finden, bei denen man Hilfe erhält.

Wie vereinst du selbst Lohn- und Carearbeit so in deinem Alltag, dass du deine eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigst?

Wer sagt, dass ich das kann? (lacht) Dieses Interview beantworte ich gerade kränkelnd um 22 Uhr, statt im Bett zu liegen und mich zu kurieren. Auch mit Hals- und Kopfweh habe ich meine Tochter heute Morgen für den Kindergarten fertig gemacht, danach diverse Mails abgearbeitet, dringende Anrufe getätigt, zwischendurch zwei Maschinen Wäsche laufen lassen, die Spülmaschine aus und wieder eingeräumt, Lebensmittel eingekauft, meine Tochter abgeholt, gekocht, Zeit mit ihr verbracht und sie dann in den Schlaf begleitet, bevor ich mich wieder an den Schreibtisch gesetzt habe. Weil es sonst keiner macht. Ihr Vater und ich sind getrennt und betreuen sie im wöchentlichen Wechselmodell.

Das klingt nach einem vollen Programm. Wie findest du den Ausgleich zum Alltagsstress?

Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich aufgrund unserer Trennung jede zweite Woche Zeit zum Erholen. Zeit für mich, meine Arbeit, meine Freund:innen. Ausserdem bin ich heute selbstständig und kann meine Lohnarbeits- und Auszeiten selbst bestimmen. Es gibt aber sehr viele Menschen, insbesondere Frauen, die diesen Luxus nicht haben. Die sich kaum Pausen von ihren Care-Aufgaben nehmen (können). Die es irgendwie schaffen müssen, den Stress zu reduzieren, um nicht auszubrennen. Dafür brauchen viele aber Unterstützung, neue Lösungsansätze und die Möglichkeit, über ihre Situation sprechen zu können, ohne verurteilt zu werden. Genau deshalb haben wir mamibrennt gegründet.

Also, an wen richtet sich «mamibrennt»?

«mamibrennt» ist für berufstätige Mütter, die einen geschützten Raum suchen, um offen über ihre täglichen Herausforderungen sprechen zu können – ohne verurteilende Kommentare wie «Dann gehe halt nicht arbeiten, du kannst nicht alles haben!» zu ernten. Wir bieten einen geschützten Raum, in dem sie alles finden, was sie brauchen: Entlastungsstrategien, Expertinnen-Wissen, On- und Offline-Events sowie Empfehlungen für Artikel, Bücher und Podcasts, welche zu ihrer Lebenssituation als berufstätige Mütter passen. Weil sie vieles haben, aber sicher keine Zeit, sich das alles noch mühsam im Netz selbst zusammen zu suchen.

Ausserdem sind uns Begegnungen im echten Leben wichtig, weil sich da nochmal ganz andere Verbindungen knüpfen lassen. Deshalb organisieren wir zum Beispiel regelmässige Stammtische so wie die Party-Reihe mamiTanzt, die zu einer Uhrzeit stattfindet, die zur Lebensrealität von berufstätigen Müttern passt. Das heisst, wir starten schon um 19 Uhr und sind spätestens um Mitternacht wieder daheim, um dann ausgepowert, glücklich und entspannt einzuschlafen. Wusstest du, dass Tanzen – mal abgesehen davon, dass es einfach Spass macht – das Nervensystem reguliert und deshalb gut gegen Stress ist? Der nächste mamiTanzt-Anlass findet am 16. November 2024, ab 19 Uhr, in Zürich im Hive Club, statt.

Tickets für den Anlass findest du hier. Bleibe über unsere Anlässe informiert und folge uns auf Instagram und LinkedIn.

Saphir

Saphir Ben Dakon ist Teil der Redaktion von Geschlechtergerechter. Stolze Besitzerin von über 1500 Büchern, setzt sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein und ist in ihrer Freizeit Vollzeit-Tante von drei Mädchen.