Keyvisual Sex – Interview

Der erste Schweizer Sex-Podcast

Melina Wyss und Karoline de Falco sprechen in ihrem Podcast «Sexologie - Wissen macht Lust» über Sexualität ohne Tabus.

Er ist der erste seiner Art aus der Schweiz. Der Podcast «Sexologie: Wissen macht Lust» von Melina Wyss und Karoline de Falco zählt über 40 Folgen, verzeichnet bald 130’000 Streams und Hörer*innen aus 124 Ländern. Angefangen hat alles unter einer Bettdecke, als improvisierte Lösung gegen den Hall. Heute sprechen die beiden ausgebildeten Sexologinnen mit professionellen Mikrofonen und einem stetig wachsenden Kreis an Zuhörenden aller Geschlechter und Altersgruppen über Sexualität. Fundiert, humorvoll und ohne Tabus.

Was auffällt: Der Humor ist kein Nebeneffekt, sondern ein zentrales Element. «Wir sind beide sehr humorvolle Menschen und auch Sexualität braucht Leichtigkeit. Nur ernst oder zu schwer landet nicht», sagt Melina beim Gespräch in ihrer Praxis am Berner Hirschengraben. Dort arbeiten die beiden Sexualtherapeutinnen in Teilzeit. Im Interview sitzen sie nebeneinander und strahlen. Ihre Freundschaft, die man beim Hören des Podcasts so schätzt, ist auch hier spürbar.

Melina und Karo, was fehlt euch in Gesprächen über Sexualität so sehr, dass ihr beschlossen habt, es selbst in die Hand zu nehmen?

Karoline de Falco: Da fehlt extrem viel. Wir haben beide angefangen, Sexologie zu studieren, weil wir fanden: Es braucht mehr öffentliche, sachliche Gespräche über Sexualität, mehr Aufklärung sowie Zugang zu Wissen. Daraus entstand die Idee für unseren Podcast: ein Ort für offene Gespräche über alle möglichen Themen, alle Geschlechter und sexuelle Orientierungen.

Melina Wyss: Ein zentraler Punkt ist das Enttabuisieren. Sexualität ist für viele mit Scham verbunden, und wo die Worte fehlen, bleibt das Gespräch oft aus. Mit unserem Podcast wollen wir zeigen: Über Sex zu reden kann leicht, normal und befreiend sein – so wie ein Gespräch über ein Kochrezept.

Euer Podcast heisst «Sexologie – Wissen macht Lust». Was bedeutet dieser Titel für euch?

Karoline de Falco: Das ist das Programm (lacht). Die Wissenschaft zeigt: Je mehr Infos Menschen zu einem Thema haben und je besser sie sich informiert fühlen, desto eher treffen sie gute Entscheidungen für sich und ihre sexuelle Gesundheit. Safer Sex ist zum Beispiel viel eher ein Thema bei Leuten mit guter Sexualaufklärung, sie schützen sich konsequenter.

Melina Wyss: Wer mehr weiss, kann bessere Entscheidungen treffen. Über sich, den eigenen Körper und die eigenen Grenzen. Es gibt bereits viele Sexpodcasts, die stark auf subjektive Erfahrungen setzen. Wir wollten fundiertes Wissen aus der Sexologie für alle zugänglich machen, kostenlos und in einer Sprache, die niemanden ausschliesst.

Karoline de Falco: Genau, viele Podcasts, die sich auch mit dem Thema beschäftigen, setzen auf besonders reisserische, oft sehr ausgefallene sexuelle Erlebnisse. Das kann spannend sein, aber auch Druck auslösen. Menschen mit einem eher durchschnittlichen Sexleben fragen sich dann vielleicht: Ist mein Sexleben zu wenig? Sollte ich anders sein? Oder andere Dinge mögen? Wir wollen einen Ort schaffen, der ohne Wertung auskommt und an dem sich alle wiederfinden können.

SEXOLOGIE EINFACH ERKLÄRT:

Sexologie ist ein anderes Wort für Sexualwissenschaft. Es geht um die Auseinandersetzung mit menschlicher Sexualität mit all ihren Facetten: psychologisch, physiologisch, kulturell, kognitiv und beziehungsdynamisch. Die Sexualtherapie ist dabei ein Teilbereich und gehört zur Sexologie, fokussiert sich aber konkret auf die Begleitung von Menschen mit sexuellen Anliegen.

Welche Folge eures Podcasts würdet ihr denn gerne allen Menschen in der Schweiz empfehlen?

Melina Wyss: Es gibt einige, aber aus aktivistischer Sicht würde ich besonders die Folge zu den Wechseljahren empfehlen. Sie betrifft die Hälfte der Gesellschaft – und indirekt auch die andere Hälfte. Dennoch verfügen viele Menschen über sehr wenig Wissen zu diesem Thema. Das führt zu vermeidbarem Leiden und mangelnder Unterstützung.

Karoline de Falco: Für mich sind es die Bindungsstile. Ein Herzensthema. Viele Menschen agieren unbewusst in wiederkehrenden Beziehungsmustern und verstehen nicht, warum sie immer an die scheinbar falschen Menschen geraten. Mehr Wissen über Bindungsmuster führt aus dem Gefühl, Opfer zu sein, hin zur Selbstermächtigung. So entsteht die Möglichkeit, bewusst zu entscheiden, wen man ins eigene Leben lassen möchte und auf wen man sich nicht mehr einlassen will.

Mir fällt beim Zuhören immer wieder auf, wie sehr eure Inhalte nachwirken. Oft beschäftigen mich bestimmte Folgen noch Tage später. Gibt es auch für euch Themen oder Fakten, die euch nicht mehr loslassen?

Karoline de Falco: In der Analsex-Folge hat mich schon die Recherche immer wieder bestürzt. Beispielsweise lassen viele junge Frauen diese Praktik unter grössten Schmerzen über sich ergehen, weil sie denken, es gehöre dazu. Oft fehlt das Wissen, wie es für sie auch angenehm und lustvoll sein könnte. Sexualität hat eben auch Seiten, die mit Schmerz oder Gewalt verbunden sind. Das bleibt hängen.

Melina Wyss: Mich beschäftigt, wie wenig inklusiv die Studienlage über Sexualität ist. Wir versuchen, die ganze Gesellschaft abzubilden. Aber die Studienlage bezieht sich meistens nur auf Männer und Frauen – manchmal nicht einmal auf Frauen. Wie es trans oder nonbinären Personen mit bestimmten Themen im sexuellen Kontext geht, bleibt oft unbeantwortet. Das frustriert und schockiert uns regelmässig. Dann gibt es auch Feedbacks aus der Community, die uns begleiten. Eine Frau schrieb nach der Affären-Folge, dass sie dadurch ihren Schmerz verarbeiten konnte. Solche Rückmeldungen motivieren dazu, das Beste aus dem Podcast rauszuholen.

Karoline de Falco: Ich denke da auch an eine Frau, die uns nach der Slow-Sex-Folge geschrieben hat. Sie hatte nach einer Krebserkrankung jahrelang keine Lust mehr und dachte, sie hätte mit ihrer Sexualität abgeschlossen. Doch dann hat sie mit ihrem Partner unsere Schritt-für-Schritt-Anleitung ausprobiert. Sie schrieb uns, dass das Feuer der Lust zurückgekommen sei. Das berührt mich echt sehr.

Was wünscht ihr euch für die Menschen in der Schweiz?

Melina Wyss: Dass die Leute nie denken, es sei zu spät für guten Sex. Sexualität entwickelt sich unser Leben lang weiter und verändert sich mit dem Alter. Das sollte normalisiert werden. Wichtig ist, neugierig zu bleiben und sich damit zu beschäftigen.

Karoline de Falco: Was wir in der Praxis immer wieder erleben, ist der Performance-Druck. Viele haben das Gefühl, sie müssen funktionieren, und zwar auf eine bestimmte Art oder auch mit einer bestimmten Anzahl an Partner*innen. Wichtig wäre, mehr ins Spüren zu kommen: Was möchte ich überhaupt, was stimmt für mich und mit wem? Auch sollten wir wegkommen von diesem heteronormativen Fokus auf PiV-Sex, also Penis in Vagina. Es gibt nicht nur die eine Art, Sex zu haben, es gibt so viele Formen und Möglichkeiten. Entscheidend ist, dass sich dabei alle wohlfühlen.

Und was wünscht ihr euch für die Zukunft des Podcast und auch für euch?

Karoline de Falco: Viele wünschen sich, dass wir Gäste einladen. Das ist aktuell nicht unser Konzept, aber wir sind offen, falls es sich in Zukunft ergibt. Und natürlich wäre es schön, mit dem Podcast irgendwann Geld zu verdienen. Wir investieren sehr viel Zeit in fundierte Recherche, werden aber kaum dafür bezahlt.

Melina Wyss: Ich habe unzählige grössenwahnsinnige Ideen – von einer Tour bis hin zu einer riesigen Bühne mit Pyrotechnik (lacht). Ob als Live-Podcast oder in anderen Formaten: Wichtig ist, sichtbarer zu werden und unser Angebot weiterzutragen. Möglichst viele Menschen sollen wissen, dass es uns gibt – und bewusst reinhören können, wenn sie sich informieren möchten.

Lucy Schön ist Social Media Verantwortliche und Autorin bei Geschlechtergerechter.


16.09.2025

Karo und Mel

Der Podcast «Sexologie: Wissen macht Lust» kann auf verschiedenen Plattformen gehört werden. Jeden zweiten Freitag gibt es eine neue Folge.

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