Hafti 1 Musik – Filmkritik Universal Music

Hafti, wie geht’s dir heute?

Filmkritik zur umstrittenen Haftbefehl-Doku «Babo – Die Haftbefehl-Story», welche im Oktober 25 auf Netflix erschien.

Im Oktober 2025 ist die Netflix-Doku «Babo – Die Haftbefehl-Story» über den deutschen Rapper Haftbefehl (Hafti), erschienen, die gleich auf dem ersten Platz der Netflix-Dokus landete. Die Dreharbeiten dauerten drei Jahre und selten war eine Doku über einen deutschen Musiker zugleich so erfolgreich wie umstritten.

Die 90-minütige Doku zeigt ungeschönt Ausschnitte aus dem Leben von Aykut Anhan, wie Haftbefehl mit bürgerlichem Namen heisst. Der Rapper ist in der Nähe von Frankfurt am Main in einer türkisch-kurdischen Familie aufgewachsen. Sein Vater litt unter Depressionen und verzockte das Einkommen der Familie in Spielsalons. Seine Brüder und Aykut wissen bis heute nicht genau, womit ihr Vater sein Geld verdient hat.

Im Film wird dargestellt, wie Aykut seinen Vater einmal knapp an einem Suizidversuch hindert. Doch als Aykut 14 Jahre alt ist, nimmt sich sein Vater das Leben und man fragt sich: muss dies wirklich nachgespielt werden? Der Suizid des Vaters hinterlässt bei Aykut Wunden, die nie verheilen und unter dessen Folgen er sein Leben lang leidet. Aykut bricht die Schule ab und wird kriminell. Die Strasse ist sein zweites Zuhause. Er verkauft Drogen und konsumiert Kokain, was ihn mehrmals fast das Leben kostet.

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Seine Frau, seine Brüder sowie Rapper-Kollegen und Menschen, die mit ihm zusammenarbeiten, kommen im Film zu Wort. Aykut hat zwei Kinder, die er wenig sieht. Er ist oft auf Tour unterwegs. Er ist ein abwesender Vater, wie er es in seiner eigenen Kindheit erlebt hat. Aykuts Frau, Nina, erzählt wie schwierig das Leben als faktisch alleinerziehende Mutter zweier Kinder ist. Eine Szene ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben. Sie sagt: «Den Aykut lieb’ ich, den Haftbefehl nicht.» Inzwischen ist eine Debatte über Ninas Rolle entbrannt: Ist sie eine starke Frau, weil sie all das mitträgt – oder hätte sie sich längst von Aykut lösen und die belastende Beziehung zu ihrem kokainabhängigen Partner beenden sollen, um aus der Co-Abhängigkeit auszubrechen und die Kinder zu schützen?

Die Doku versäumt es meiner Meinung nach, die Zusammenhänge zwischen toxischer Männlichkeit, persönlichen Traumata, Rassismus und Klassismus innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft herauszuarbeiten. Es gibt keinen Raum, in dem Aykut verletzlich sein darf. In diesem Kontext ist auch der Suizid des Vaters zu betrachten und das Fehlen von Männlichkeitsnormen abseits klassischer Rollenbilder.

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Haftbefehls Musik beruht auf einem eigenen Sprachstil, der sich am Strassenjargon seiner Jugend anlehnt. Er hat die Sprache aus den Offenbacher Hochhaussiedlungen in den Mainstream getragen und schaffte damit den Durchbruch bis an die Spitze der Charts. Seine Musik findet in jugendlichen migrantischen Communities grossen Anklang, Haftbefehl gilt als Identifikationsfigur und Sprachrohr für viele. Wie stark seine Bedeutung für Jugendliche ist, zeigt auch ein Vorstoss des Stadtschüler*innenrats in Offenbach. Dieser fordert, dass im Unterricht Haftbefehls Musik und sein Werdegang behandelt werden. Das hessische Kultusministerium lehnte den Antrag jedoch ab – der Rapper sei zu umstritten und sein Leben sowie seine Texte könnten nicht in den bestehenden Lehrplan integriert werden.

Migmar Dolma schreibt in seiner Filmrezension für «Das Lamm» dazu: «Die Künstler*innen aus der Unterschicht sind gut genug, um mit ihrem Zerfall, ihrer Kriminalität und Drogensucht Unterhaltung zu bieten, aber nicht gut genug, um deren harten, lyrischen Texte an Gymnasien und Deutschseminaren zu diskutieren.»

Laura Schwab ist Autorin bei Geschlechtergerechter. Gemeinsam setzen wir uns für ein respektvolles, menschenwürdiges Miteinander ein und verurteilen Gewalt in jeder Form.

02.12.2025