Das Buch «Was ich dir nicht sage», das im Eigenverlag der Autorin Anja Glover erschient, hat mich nachhaltig berührt. Anja Glovers Erzählweise ist direkt, sie schont ihre Leser*innen nicht. Die Autorin ist als Antirassismus-Expertin, Dozentin, Moderatorin, Podcasterin und Soziologin tätig und vermag es mit ihrer präzisen und doch leicht zugänglichen Sprache gekonnt ihre Erfahrungen mit strukturellem Rassismus in der Schweiz zu vermitteln.
Anja Glover sagt in ihrem Buch, was sie bei Auftritten oder bei Antirassismus-Workshops kaum sagen kann: Nämlich, dass man es gut meinen und trotzdem Rassismus reproduzieren kann. Etwa dann, wenn sie während einer kinesiologischen Behandlung von der ausführenden Therapeutin gefragt wird, was die richtige Bezeichnung für Schwarze Menschen ist. Während sie versucht, sich zu entspannen, muss sie als Schwarze Person kostenlose Aufklärungsarbeit leisten: «Ich sitze hier und erkläre Ihnen Rassismus. Ich bezahle dafür, von Ihnen behandelt zu werden, mache aber faktisch während meiner Therapiesitzung meinen Job.»
«Ich bin meine Arbeit»
Glover erzählt davon, wie sie über ihre Honorare für Antirassismus-Workshops und Weiterbildungen verhandeln muss. Häufig wird ihr mitgeteilt, dass der Betrieb dafür wirklich kein Budget habe, es aber doch ein so wichtiges Thema sei. Ob sie den Workshop nicht umsonst oder zu einem sehr tiefen Preis anbieten könne, es sei ja für eine gute Sache. Anja Glover schreibt dazu: «Meine Arbeit ist immer für einen guten Zweck.»
Ein weiteres Beispiel für verbreiteten Rassismus in der Schweiz ist die Frage nach der Herkunft. Schwarze Menschen werden häufig gefragt, woher sie denn wirklich seien. Auch Anja Glover passiert das immer wieder. So zum Beispiel als sie von einem Journalisten angefragt wird, zu dieser Diskussion zu schreiben, aber aufgrund ihrer Krankschreibung und eines erwarteten Shitstorms absagt. Da fragt der Journalist sie - aus echter Neugier, wie er schreibt: «Woher kommst du wirklich?».
Anja Glover berichtet in ihrem Buch von eigenen Erfahrungen mit Rassismus und dem möglichen Zusammenhang mit ihren Rückenschmerzen. Rassismusbetroffene, die sich gegen Rassismus einsetzen, sind einem grösseren gesundheitlichen Risiko ausgesetzt und erkranken häufiger, wie Glover eindrücklich anhand von Beispielen aus der Geschichte zeigt: Audre Lorde, James Baldwin, Frantz Fanon und weitere. Da sie sich ständig mit Rassismus im beruflichen und im privaten Kontext befassen mussten, ist eine Abgrenzung nahezu unmöglich. Sie wird denn von ihrer Ärztin auch gefragt, ob sie sich genügend von ihrer Arbeit abgrenze. Anja Glover sagt dazu: «Ich bin meine Arbeit.»
Glover erklärt in diesem Buch nicht, was Rassismus ist, sondern was Rassismus mit betroffenen Menschen macht. Die Autorin wendet sich in ihrem Buch mit der Ansprache «Du» direkt an ihre Leser*innen. Auf diese Weise bin ich als Leserin direkt adressiert. Das «Du» bringt mich dazu, zuzuhören, zu reflektieren und mich und meine Denkmuster kritisch zu hinterfragen. Genau das, was Anja Glover mit ihrem Buch zum Ziel hat: Menschen zu sensibilisieren, auch jene, die meinen, sie wüssten schon viel über Rassismus. Ein mutiges Buch, das ich allen ans Herz lege.
Die Suche nach dem Verlag
Das Ende 2024 veröffentlichte Buch «Was ich dir nicht sage» hat einen langen und steinigen Weg hinter sich. Für das fertige Manuskript erhielt die Autorin von verschiedenen Verlagen nur Absagen. Teilweise mit diskriminierenden Begründungen wie beispielsweise, dass der Verlag bereits kürzlich ein Buch einer Schwarzen Person veröffentlich hätte. Eine andere Rückmeldung bezog sich auf das Genre des Buches. Man schlug der Autorin vor, statt eines autofiktionalen Romans ein Sachbuch zu schreiben, was Anja Glover im Anschluss auch tat.
Da sich trotzdem kein Verlag für ihr Buch finden liess, hat sich die Autorin dazu entschlossen, ihr Buch selbst herauszugeben. Mittels eines Crowdfundings konnte sie die Ausgaben decken. Es erfordert viel Arbeit, sich das nötige Wissen zum Selfpublishing anzueignen. Es bedeutet auch, dass für die Neuerscheinung des Buches kein Verlag Werbung macht und dieses bei Erscheinungstermin in der Buchhandlung nicht automatisch ausliegt. Umso schöner ist es, dass das Buch nun auf der Bestsellerliste gelandet ist und mittlerweile in vielen Buchhandlungen angeboten wird. Die Lesungen waren ausverkauft und es gab zahlreiche positive Berichterstattungen in den Medien. Das Buch kann mittlerweile in einigen Buchhandlungen direkt vor Ort erworben werden oder aber in jeder Buchhandlung bestellt werden.
Was ich dir nicht sage von Anja Nunyola Glover, Eigenverlag, 297 Seiten.