Intersektionalität Gross V 2 Blog

Sag mal... Intersektionalität

Warum ein komplizierter Begriff uns dabei helfen kann, das Leben für viele Menschen um einiges einfacher zu machen.

Abgeleitet vom englischen "Intersection", was ins Deutsche als "Schnittmenge" übersetzt werden kann, klingt "Intersektionalität" erst einmal sehr mathematisch. Was hat der Begriff mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun?

Grundsätzlich besitzen wir alle mehrere Identitätsmerkmale. Es bestimmt nicht nur unser Geschlecht, sondern beispielsweise auch unsere Haut, Sexualität, geistigen und körperlichen Fähigkeiten oder unser Alter, wie wir in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Andere schätzen aufgrund dieser Merkmale ein, zu welchen Gruppen wir wohl gehören. Das hilft ihnen dabei, zu beurteilen, wie sie mit uns umgehen sollen und können. So wird eine Frau in einer Sitzung zum Beispiel weniger beachtet als ein Mann. Oder eine Person of Color wird auf der Strasse in Zürich eher auf Englisch, und nicht auf Deutsch angesprochen. Solche unterschiedlichen Umgangsformen sind meist normalisiert, können jedoch häufig diskriminierend sein.

Nicht nur Geschlecht, auch andere Indentitätsmerkmale bestimmen die Wahrnehmung

Auf Geschlechtergerechtigkeit hinzuarbeiten, bedeutet, dass wir erreichen möchten, dass Menschen keine Ungerechtigkeiten aufgrund ihres Geschlechts erleben. Doch aufgrund mehrerer Identitätsmerkmale gehört keine Person nur zu ihrer jeweiligen Geschlechtergruppe. Jede Person hat ebenfalls ein äusseres Erscheinungsbild, eine sexuelle Orientierung, unterschiedliche körperliche und geistige Fähigkeiten, gehört zu einer sozialen Klasse... Daher unterscheiden sich Menschen - trotz des selben Geschlechts. Alle ihre Eigenschaften beeinflussen, ob eine Person Diskriminierung erlebt. Menschen können beispielsweise von Sexismus, Rassismus, Altersdiskriminierung, verschiedenen Formen der Feindlichkeit gegen sexuelle Orientierungen, oder Behindertenfeindlichkeit betroffen sein. So gilt es zu verstehen, dass zum Beispiel eine lesbische Schwarze Frau im Rollstuhl anderen Erfahrungen ausgesetzt ist, als eine weisse Frau ohne Behinderungen mit Universitätsabschluss.

Diskriminierungen können sich verstärken und verändern

Wird eine Person aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit diskriminiert und ist gleichzeitig Person of Color, so verstärken sich erlebter Sexismus und Rassismus nicht einfach. Stattdessen entsteht eine ganz bestimmte Form, die an beide Identitätsmerkmale geknüpft ist. Hier ist der Begriff der Intersektionalität für die Vorstellung hilfreich: Stellen wir uns die Gruppe von Frauen, die diskriminiert werden, als roten Kreis vor, und die Gruppe von People of Color, die Diskriminierung erleben, als blauen Kreis, so befinden sich diejenigen Personen, die sowohl Frauen als auch People of Color sind, in der Schnittmenge (also: in der Intersektion) zwischen den beiden Kreisen. Die Diskriminierung der Frauen wird rot dargestellt, diejenige der People of Color blau. In der Schnittmenge finden wir die Mischform - also lila. Es entsteht nicht einfach eine stärkere Diskriminierung, sondern eine neue Form der Diskriminierung.

Es gibt keine "One-Size-Fits-All" Lösung

Dies zeigt, dass unterschiedliche Arten von Diskriminierung nicht individuell angegangen werden können. Selbst in diesem Beispiel wurde stark vereinfacht. Jede Person hat viele Überlappungen aufgrund vieler Identitätsmerkmale. Zum einen erschwert das die Diskussion zu Geschlechtergerechtigkeit, da es darauf hinweist, dass die Arten der erlebten Ungerechtigkeiten wahnsinnig vielfältig sind und nicht eine simple "One-Size-Fits-All"-Lösung gefunden werden kann. Andererseits ermöglicht das Konzept der Intersektionalität, besser auf eine gerechtere Gesellschaft hinzuarbeiten. Werden Unterschiede innerhalb der Gruppe, die wegen ihrem Geschlecht benachteiligt wird, wahrgenommen, so können differenzierte Lösungen für alle geschaffen werden. Vor allem aber betont das Konzept, dass es nötig ist, alle Arten von Diskriminierung wahrzunehmen und in die Geschlechterarbeit miteinzubeziehen.

Die Notwendigkeit des Begriffs der Intersektionalität in den Diskriminierungsanalysen hat als erste die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw eingeführt.

Bemerkung der Autorin: Schwarz ist eine politisch gewählte Selbstbezeichnung, die eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position beschreibt.

Lea Elina Hofer ist Autorin bei Geschlechtergerechter