Das fragen sich die beiden Professorinnen der Uni Zürich, Margit Osterloh und Katja Rost auch. Und sie lassen nicht locker. In einem Gastkommentar in der NZZ vom 14.11.2023 legen die beiden den Finger wieder auf einen wunden Punkt. Sie argumentieren nämlich, dass die es in erster Linie die privaten, freiwilligen Entscheidungen sind, die zur Ungleichheit in der Karriere und bei den Löhnen beitragen und nicht mehr eine wie auch immer geartete Diskriminierung der Frauen.
Untermauert wird ihre Argumentation mit den Arbeiten der diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträgerin Claudia Goldin.
Sind die Frauen selber schuld?
Wer den Artikel von Osterloh und Rost in der NZZ liest, beisst sich unbehaglich auf die Lippen, denn die Argumente der beiden laufen der aktuellen Geschlechterdebatte derart krass zuwider, dass einem beim Lesen der Atem stockt. Dennoch lohnt es sich, einmal darüber nachzudenken, wie es denn wirklich so um die privaten Entscheidungen steht.
Fakt ist, die Einkommensunterschiede bei den Geschlechtern zeigen sich heute noch ungebrochen stark bei verheirateten Paaren, vorher ist der Verlauf fast ausgeglichen zwischen den Geschlechtern. Osterloh und Rost argumentieren, dass die von vielen propagierte Idee der gleichen Arbeitsaufteilung zwischen Männern und Frauen zu deutlichen Einkommensabstrichen in der Familienkasse führt. Dies hat damit zu tun, dass in gut bezahlten Stellen eine hohe zeitliche Verfügbarkeit immer noch mit einem deutlich höheren Lohn abgegolten wird. Diese Rumpfform des alten Ernährerlohns der früher mit Arbeitsverboten für Ehefrauen abgesichert wurde, besteht also weiterhin, und sie führt dazu, dass bei traditionellen Paaren, bei denen der Mann einen *total engagement* job ausführt und die Frau ein kleines Teilzeitpensum arbeitet, in der Regel mehr Geld in die Haushaltskasse fliesst als bei Paaren mit einer geschlechtergerechten Arbeitsaufteilung.
Wenn aber eine traditionelle Arbeitsaufteilung auch heute noch zu einem ökonomischen Vorteil führt, heisst dies, dass egalitäre Familienmodelle auf sehr tönernen Füssen stehen und besonders in Krisenzeiten anfällig sind für einen Rückfall in traditionelle Arbeitsaufteilungen.
Jahrzehntelang gingen wir davon aus, dass die traditionelle Rollenaufteilung der Familien auch damit zusammenhängt, dass die Frauen meist schlechtere Ausbildungen hatten und in schlechter bezahlten Jobs arbeiteten als die Männer. Man glaubte, dass dieser Umstand dazu führte, dass viele Familien aus ökonomischen Gründen ein traditionelles Modell wählen mussten. Heute sind die Ausbildungen von Männern und Frauen vergleichbar, auch die Löhne der Ledigen sind ausgeglichen und dennoch bleibt die traditionelle Rollenteilung finanziell vorteilhafter als eine gleiche Aufteilung der Arbeiten. Das ist ernüchternd.
Finanziell wäre einzig die Umkehrung der Geschlechterrollen neutral. Wenn also die Frau als Hauptverdienerin den "Total engagement Job" als bezahlte Stelle annimmt und den Hauptteil der Familienarbeit ihrem Partner überlässt. Leider ist diese Lösung sehr selten, ausserdem wird damit die ungleiche Verteilung einfach mit anderen Vorzeichen fortgeschrieben.
Rollenerwartung ist noch keine Diskriminierung
Wenn sich Frauen und Männer auf ihre traditionelle Rolle zurückziehen fusst dies heute stärker auf individuellen Entscheiden als noch vor 40 Jahren. Das ist unbequem und das trägt dazu bei, dass sich scheinbar so wenig ändert. Es heisst aber auch, dass wir heute mehr verändern könnten. Das gilt für Mütter wie für Väter, denn oft ist beiden in ihrer Rolle nicht nur wohl.
Die Frage bleibt, was Frauen und Männer tun könnten, um aus dieser Situation auszubrechen. Eine Möglichkeit wäre, sich nicht in Pole Postition für eine klassische Rollenaufteilung zu stellen. Dies ist etwas, was viele heute noch tun. Egal, ob sie Kinder haben oder nicht, distanzieren sich viele Frauen schon früh von Breadwinnerstellen, während die Männer ebenso selbstverständlich in die Rolle des Breadwinners schlüpfen, obwohl mittlerweile viele damit unzufrieden sind. Natürlich werden diese Stellen auch "Greedy Jobs" genannt, damit sie für Frauen möglichst unattraktiv scheinen.
Das Patriarchat hat auch in seiner modernsten Ausprägung, die so viel Wert auf Diversity legt, System. Es war ein langer Weg die Ausbildungsunterschiede aus dem Weg zu räumen und den Weg frei zu machen auch für Frauen. Dies geschah ja gerade deswegen, weil wir mehr Möglichkeiten der Rollenaufteilung haben wollten. Nicht alle haben kleine Kinder. Viele Frauen und Männer zögern trotzdem zu sagen "ich will". Das ist schade, denn so wird sich wenig ändern.