Im akademischen Manifest, das im Zuge des feministischen Streiks 2019 veröffentlicht wurde, fordern feministische Wissenschaftler*innen: «gleichen Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig vom Geschlecht.» Diese gesamtgesellschaftlich relevante Forderung mag die eine oder den anderen überraschen: Müsste es nicht gerade die Wissenschaft schon längst besser wissen – und schon längst besser machen?

Feministische Wissenschaft
«Ein zentrales Anliegen von FemWiss ist es, durch einen feministisch-wissenschaftlichen Blick Ungleichheiten sichtbar zu machen.»
Nicht unbedingt, antwortet Nina Seiler, Vorstandsmitglied des Vereins Feministische Wissenschaft Schweiz FemWiss und Redakteurin des Vereinsmagazins FemInfo. Denn auch die Wissenschaft ist eine über viele Jahre gewachsene Institution, in der Klischees zur Gewohnheit und patriarchale Strukturen selbstverständlich geworden sind und gerade deshalb oft auch unbemerkt bleiben. «Ein zentrales Anliegen von FemWiss ist es, durch einen feministisch-wissenschaftlichen Blick Ungleichheiten sichtbar zu machen und Sensibilität für diskriminierende Mechanismen zu schaffen», erläutert Seiler. FemWiss war auch an der Entstehung des akademischen Manifests von 2019 beteiligt und sicherte dessen langfristige Sichtbarkeit im Internet.
Feministische Wissenschaft nimmt die kritische Reflexion vielfach als Ausgangspunkt dafür, um etwas zu verändern und die Welt gerechter zu machen. «Gerade in der aktuellen, von Backlashes gezeichneten Zeit, ist der Einsatz für feministische Wissenschaft alles andere als gesichert», bemerkt Nina Seiler und weist auf umfangreiche Budgetkürzungen des Bundes mit dem geplanten Entlastungspaket 2027 hin, von denen etwa der Schweizerische Nationalfonds als Forschungsförderinstitution oder die sogenannten P-7-Projekte im Bereich Inklusion, Diversität und Chancengerechtigkeit an Hochschulen betroffen sind. Insofern spürt auch die feministische Wissenschaft diese Kürzungen stark – gerade weil sie sich grundlegenden gesellschaftlichen Themen wie etwa Geschlechterfragen, Diskriminierungen und sozialen Strukturen widmet. «Es ist deshalb derzeit umso wichtiger, feministisches wissenschaftliches Wissen weiterhin und verstärkt an eine breite Öffentlichkeit zu vermitteln», beschreibt Seiler den Auftrag des Vereins.
FemWiss agiert unabhängig und ist nicht an einer bestimmten Institution angesiedelt, sondern auf Mitgliedsbeiträge, Abonnements und Spenden angewiesen. Viele Mitglieder sind schon lange im Verein aktiv, viele sind langjährige und treue Begleiter*innen. Die kontinuierliche Vereinsarbeit seit der Gründung 1983 verleiht FemWiss nicht nur historisches Gewicht, sondern bestärkt Nina Seiler zufolge auch das eigene Engagement: «Es ist schon motivierend, Teil einer so beständigen Vereinsgeschichte zu sein und am Erfahrungsschatz der Vorgängerinnen teilhaben und von ihnen lernen zu können. Gemeinsam fördern wir die feministische Wissenschaft in der Schweiz und setzen uns für die Dialogkultur zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein, was gerade in den aktuellen Krisenzeiten auch ein zentrales feministischen Anliegen ist.»
«Feministische Wissenschaft geht uns alle an!»
Darin wird der gesamtgesellschaftliche Auftrag von FemWiss deutlich: Es geht nicht nur um den Bereich der Universitäten und Hochschulen, sondern ausdrücklich auch um die breite Öffentlichkeit. Frei nach dem Motto: Feministische Wissenschaft geht uns alle an! Letztlich sind gesamtgesellschaftlich relevante Themen eine der Grundfesten feministischer Wissenschaft. Sie setzt dort an, wo Ungleichbehandlung oder Diskriminierung bestehen. Grundlegenden Themen wie etwa den Geschlechterrollen oder der Sorge-Arbeit widmet sich auch das Vereinsmagazin FemInfo, das zweimal jährlich erscheint und mit der aktuellen Nummer in Fem*Fém umbenannt wird. Der Untertitel «Das feministische Magazin mit wissenschaftlichem Blick» ist dabei Programm: FemInfo – respektive Fem*Fém – ist kein akademisches Journal mit seitenlangen wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern ein Magazin, das wissenschaftliche Texte in einem zugänglichen Format publiziert.
Redakteurin Nina Seiler erzählt schmunzelnd: «Bei unseren Beiträgen muss man auf den Punkt schreiben. Für viele Wissenschaftler*innen ist das eine durchaus ungewohnte Herausforderung.» Für das Magazin ist dieses Format allerdings der zentrale Dreh- und Angelpunkt, um feministisch-wissenschaftliche Arbeit einer breiten Leser*innenschaft zu vermitteln. Die Hefte adressieren Themen, die uns alle betreffen: «Hat Sport ein Geschlecht?», fragte FemInfo beispielsweise 2023. Zuletzt erschien ein Heft zum Thema «Sammeln», in dem unter anderem wissenschaftlich diskutiert wird, was gesammelt wird und inwiefern die Art des Sammelns beeinflusst, was wir erinnern und wie wir erinnern – kurz gesagt: wie Sammeln unsere Geschichte bestimmt.
Das neue Heft von FemInfo beleuchtet in feministisch-wissenschaftlicher Manier das Spannungsfeld von Krieg und Widerstand.
Seit 2023 wird FemInfo in Kooperation mit Expert*innen herausgegeben. So wurde das neue Heft über «(Anti-)Militarismus. Feministische Perspektiven auf Krieg und Widerstand», das im Mai 2025 erscheint, von Isabel Käser und Elizabeth Mesok betreut. In feministisch-wissenschaftlicher Manier wird im neuen Heft das Spannungsfeld von Krieg und Widerstand aus unterschiedlichsten Sichtweisen beleuchtet. «Ein Beitrag widmet sich zum Beispiel der Kunst im öffentlichen Raum und eröffnet eine hoffnungsvollere Perspektive, was gerade in diesem düsteren Themenfeld eine wichtige Ergänzung sein kann», verrät Seiler. Auch das zählt zu den Stärken feministischer Wissenschaft: eine Vielfalt an Sichtweisen aufzuzeigen, neue, manchmal überraschende Perspektiven zu eröffnen und damit Veränderung möglich zu machen.
Hannah Bruckmüller ist Autorin bei Geschlechtergerechter.
16.05.2025