Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um sexualisierte Gewalt. Wenn dieses Thema für dich zu belastend ist, lies ihn bitte nicht oder in einem Moment, in dem du genug Kraft dafür hast. Hast du selbst sexualisierte Gewalt erlebt und benötigst Hilfe oder Unterstützung, findest du am Ende des Artikels einige Kontaktmöglichkeiten und Hilfsangebote.

Machtverschiebung nach sexualisierter Gewalt
Der Weg nach einer Vergewaltigung
Nachdem ich als junge Teenagerin sexualisierte Gewalt erlebt hatte, hat es einige Jahre gedauert, bis ich mich meinen Nächsten und Liebsten anvertrauen konnte. Es hat viel Zeit gebraucht, bis ich mir danach therapeutische Hilfe geholt habe, um mit dem Erlebten umzugehen. Und es hat umso länger gedauert, bis ich mir selbst eingestehen konnte, welche Art von Gewalt ich erlebt hatte und was das mit mir gemacht hatte. Ich wurde vergewaltigt. Als junges Mädchen, frisch in ihre Jugend gestartet, war meine erste Erfahrung mit Sex eine gewaltvolle. Und nein, niemand hat mich physisch gewaltvoll angegriffen. Ich wurde nicht geschlagen und trotzdem hat es weh getan. Die Wunden in der Zeit danach waren sehr tief. Mir wurde Macht entzogen. Macht über meinen Körper. Macht über meine Entscheidungen. Macht über meine Selbstbestimmung.
Jetzt, nach über 10 Jahren, habe ich verstehen können, was mir passiert ist. Ich habe mir endlich eingestehen können, dass ich keinerlei Schuld trage. Und ich konnte endlich meine Kraft zurückgewinnen, die mir in diesem Moment genommen wurde. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich war schon immer eine starke und aufgestellte junge Frau. Menschen aus meinem weiteren Umfeld waren erstaunt, als ich ihnen von meinem Erlebnis erzählte: «Das hätte ich nie gedacht, dass dir so etwas passiert ist. Du bist immer so eine freudige und offene Person. Du bist doch so eine starke Frau!». Ja das bin ich. Und glauben Sie ja nicht, ich sage jetzt, dass mich dieses Erlebnis zu dem gemacht hat. Das wären zu viele Credits für den Täter. Ich bin eine starke Frau, weil ich eine Stärke in mir trage, die ich mir selbst verdanke.
Die Macht der eigenen Entscheidung
Neun Jahre nach meiner Vergewaltigung und nach zwei Jahren Therapie habe ich mich für eine Anzeige entschieden. Diese Entscheidung war keine leichte. Schliesslich hatte ich die letzten Jahre nicht hinter einem Stein gelebt und mir war bewusst, dass ich mich damit auf einen schwierigen Weg begebe. Wie schwierig es dann aber wirklich werden würde, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar. Das kann ich jetzt im Nachhinein sagen. Als Betroffene von sexualisierter Gewalt eine Anzeige zu erstatten und somit ein Offizialdelikt zur Anzeige zu bringen, ist auf vielen Ebenen anspruchsvoll.
Doch zurück zum Moment der Entscheidung für eine Anzeige. Denn dieser Moment ist ein bedeutender für diese Geschichte, die Teil meines Lebens ist. Mit dieser Entscheidung hat sich nämlich die Machtdynamik zwischen mir und dem Täter angefangen zu verändern. Das Wichtige in diesem Moment war, dass sich für mich etwas veränderte. Ich habe mich aus der passiven Rolle herausbewegt. Ich habe selbst eine Entscheidung getroffen, welche die Dynamik zwischen mir und ihm verändert hat. Ich bin laut geworden und habe mir für das Unrecht, das mir passiert ist, Gehör verschafft. Denn bis dahin war unsere Beziehung von seiner Machtausübung mir gegenüber geprägt. Und ja leider besteht eine Art Beziehung zwischen einem selbst und dem Täter, ob man das will oder nicht. Mit meiner aktiven Entscheidung nahm ich mir die Macht zurück.
Ich stand für mich selbst ein. Ich brachte damit zum Ausdruck, dass ich in dieser Geschichte nicht das Opfer bin, oder zumindest nicht mehr sein werde. Dieses Gefühl der Machtverschiebung hat mir so viel Kraft gegeben, dass ich eine Freude gefühlt habe, die sich fast unangebracht angefühlt hat. Ich erlebte ein beschwingt sein durch das Heraustreten aus meiner alten Rolle. Es war der Anfang einer Veränderung, die ich jeder Person wünsche, die (sexualisierte) Gewalt erlebt hat und fühlt, was ich für viele Jahre ertragen musste. Denn auch wenn einem so ein Erlebnis ein Leben lang begleitet, steht es in der eigenen Macht, was man daraus macht. Damit möchte ich niemandem absprechen, sich hilflos, elend, traurig, ungerecht behandelt, beschämt oder auch einfach allein zu fühlen. Denn das gehört auch dazu und ist sehr berechtigt. Ich möchte nur betonen, dass man sich auch anders fühlen darf und kann. Man hat das Anrecht darauf, sich ganz viele positive Gefühle und Erfahrungen eigen zu machen. Und das habe ich mir mit der Entscheidung für die Anzeige gegeben.