Der Mann wurde vor der Frau erschaffen – und wurde dann von ihr verführt zum Essen des Apfels! Wenn von den zwölf Jüngern die Rede ist, meint die Bibel klar nur Männer. Die Frau soll schweigen in der Gemeinde. Es sind die Stammväter, von denen gesprochen wird.
Diese und ähnliche Aussagen tauchen auf, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche geht. Menschen – öfters Männer - beziehen sich auf diese Texte der Bibel, um ihre Überzeugungen zu untermauern, die klar ausschliessenden Mechanismen folgen.
Es sind Texte, die über die Jahrhunderte hinweg tradiert wurden und die in christliche Konfessionen eine starke und lange unhinterfragte Wirkungsmacht entfalten konnten. Sei es der bis heute geltende Ausschluss der Frauen vom Priesteramt in der römisch-katholischen Kirche oder die weiter spürbare patriarchale Struktur in protestantischen Kirchen. Aber auch da, wo Gott einzig als «Herr» angesprochen ist, wird die patriarchale Überlieferungs- und Übersetzungslinie erkennbar.
Dabei wird übersehen, tatsächlich oft unbewusst, wie viele Texte eine andere Geschichte erzählen einerseits, dass aber auch die anfänglich erwähnten Texte ganz anders verstanden werden können. So ist, um nur zwei der eingangs erwähnten Beispiele aufzugreifen, in etlichen Texten von der Beziehung Jesu zu Frauen, die mit ihm unterwegs waren, die Rede. Ebenso wie im Schöpfungsbericht von der Erschaffung des Menschen, wörtlich “des Erdlings” die Rede ist – nicht des Mannes. Welche Geschichten also werden in welcher Sprache und mit welcher Deutung erzählt, welchen wird Wirkungsmacht zugesprochen und welche bleiben versteckt und unbedeutend? Welche Bilder vom Göttlichen werden als "richtig” betrachtet und welche werden als anthropomorph abgewertet?
Theologische und seelsorgerliche Gründe
Diese Fragen stellen sich feministische und gendersensible Theolog:innen. Sie untersuchen, welche Texte den Kanon bestimmen, lesen die verschiedenen Texte der Bibel sehr genau und brechen verzerrte Interpretationen und Tradierungen auf. Der Einbezug des historischen, sozialen Kontexts sowie sprachliche Sorgfalt gehören dazu, ein schonungsloses Beleuchten von vermeintlich Eindeutigem, eine Distanznahme von geprägten Interpretationen, ein Aushalten auch von Ambivalenzen – in den biblischen Texten selbst, aber eben auch in den Interpretationen und Wirkgeschichten.
Die Einsicht, dass die Gesellschaft, in der die biblischen Texte ihren Ursprung haben, patriarchal geprägt ist, ist rasch gewonnen, auch ohne explizit feministischen Blick, könnte man meinen. Aber es brauchte die feministischen und gendersensiblen Theolog:innen, um diese Tatsache klar zu benennen. Sie ist keine Überraschung, da jene Zeit allgemein von hierarchisch binärem Denken durchzogen ist. Das zeigt sich auch in biblischen Erzählungen von alltäglicher Gewalt, Unterdrückung und Abwertung von Frauen und Minderheiten.
Nehmen wir den Anspruch der biblischen Geschichten, ihre theologische Überzeugung, aber ernst, von Befreiung und dem Versprechen auf Gerechtigkeit und Frieden zu erzählen, so sehen wir: auch in der patriarchal geprägten Umgebung gibt es Aufbegehren, Selbstbestimmung und emanzipatorisches Handeln - verschüttet oft, nicht beachtet oder gar negiert. Dieses wollen feministische Theologien entdecken, ans Licht holen und in seiner Bedeutung festigen. Darin steckt eine Haltung, eine Theologie, die Menschen seelsorgerlich offen begegnet, sie stärkt in ihrem Suchen, an ihrer Seite steht und Aufbrüche und Versuche unterstützt. Und die zugleich gegenüber entwürdigendem, ausgrenzendem Verhalten klar Position bezieht – in den biblischen Texten wie auch im Heute.
Kirche braucht machtkritische Theologie
Was auf theologischer und seelsorgerlich individueller Ebene geboten ist, ist auch auf institutioneller Ebene elementar. Kirche braucht eine Theologie, die reflektiert und hinterfragt. Eine Theologie, die ihre jahrhundertelange patriarchale Prägung anerkennt; Macht und ihren Missbrauch, auch in spirituellen und sexuellen Übergriffen, wahrnimmt. Eine Theologie, die sich dezidiert damit auseinandersetzt und dagegenstellt und die Kirche herausfordert, es ebenso zu tun.
Wir sind überzeugt: Kirche muss sich, will sie Zukunft haben, befreien aus dem patriarchalen theologischen Korsett. Denn dieses engt sie ein, nimmt ihr die Luft zum (Weiter)Leben. Sie muss sich einer Veränderung öffnen. Ihre grundlegenden Texte, die biblischen Texte, sind in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden und tradiert worden. Umso erfreulicher sind die Schätze, die sich finden lassen: Geschichten voller Zuwendung zu den Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welcher sozialen Zugehörigkeit. In ihnen steckt Potential, Menschen zu ermächtigen. Ihre Botschaft von Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit ist aktueller denn je und anschlussfähig für den Dialog mit Menschen, die für die gleichen Ideale einstehen.
Tradierungen der Abwertung und des Ausschlusses ja, sie können in die Tonne. femmes protestantes setzen sich ein für die ermächtigende und emanzipatorische Botschaft. Für eine Kirche, die frei atmen und sich entfalten kann. Ohne patriarchales Konzept.