Rethinkmasculinity 1

Ein Rock, ein Schock

Wenn Männer Rock tragen, um neue - fürsorglichere, zärtlichere, diversere - Männlichkeiten aufzuzeigen und zu leben, dann ist wieder “Rethink Masculinity Day”. Dieser fand am letzten Montag zum zweiten Mal statt. Erfahrungsbericht eines Teilnehmenden.

«Fühlst du dich wohl?», fragt Lisa nachdem ich mich umgezogen habe. Lisa leiht mir gerade einen ihrer Röcke für den darauffolgenden Tag, an dem sich berockte Männer frühmorgens im öffentlichen Raum zu einem Gruppenfoto treffen und danach zu ihren Arbeitsorten ausschwärmen werden. Schon zum zweiten Mal bin ich Teil dieser Aktion, die mir sehr am Herzen liegt, und schon zum zweiten Mal fühle ich mich nicht wirklich wohl. Eher exponiert, verletzlich und potentiell vernichtenden Urteilen ausgeliefert. Da bin ich aber froh, dass Lisas Rock wenigstens über die Knie reicht und dezent olivgrün ist, anstatt “mini” und blümchengemustert.

Eigentlich wäre das die ehrliche Antwort auf Lisas Frage gewesen, aber aus Überforderung zucke ich mit den Schultern und lenke das Gespräch auf technische Aspekte (wie männlich von mir!): «Wie trägt mensch einen solchen Rock richtig?».

Lisa bemerkt, dass er auf meiner Hüfte liegt und korrigiert: «Eigentlich ist die Idee, ihn um die Taille zu tragen, damit diese schmal wirkt. Ausserdem sehen die Beine dann länger aus.». Mir tut sich eine neue Welt auf, und hiermit zeigt sich schon das erste männliche Privileg: sich bis anhin selten bis nie überlegt zu haben, wie der eigene Körper gegen aussen wirkt (zumindest stimmt das für Millenial-Männer wie mich; ob es auch für jüngere Generationen so ist, sei dahingestellt). «Aber das mit der schmalen Taille gilt bei Männern weniger, oder?», frage ich etwas unsicher. Lisa nickt verständnisvoll. Ich nicke zurück. Aber wieso nicken wir eigentlich?

RMD 2024

Bevor ich mich wenig später schlafen lege, schaue ich ein letztes Mal aufs Handy. David schreibt: «Stay safe tomorrow.». Nicht nur er, auch ich bin nervös. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich einschlafen kann.

Zu wenige Stunden später klingelt der Wecker. Normalerweise würd ich mich erst nach dem Frühstück umziehen, aber heute entscheide ich mich, es sofort zu tun, um mich schon etwas an das neue Accessoire zu gewöhnen. Der Schock soll nicht allzugross sein, wenn ich aus dem Haus gehe. Kaum angezogen, löst das Kleidungsstück eine Kette von Fragen und Gedanken aus:

Werde ich wie letztes Jahr etwas drunter tragen oder etwas Haut zeigen? Damals erübrigte sich die Frage wegen der eisigen Kälte, aber bei frühlingshaften 15 Grad? Ich rede mir ein, dass der Winter doch noch nicht ganz vorbei ist, zumindest nicht um sieben Uhr morgens, und entscheide mich für schwarze Strumpfhosen (auch hier: unbedingt schwarz und nicht irgendwas weniger männliches, schliesslich wage ich mich schon genug aus der Komfortzone raus). Wenn ich ehrlich bin, weiss ich tief in mir drin, dass die Strümpfe eher mit psychologischem als mit thermischem Schutz zu tun haben. Einmal sowenig Auffallen wie möglich bitte.

Wenn ich bei Schlafmanko Kontaktlinsen trage, brennen meine Augen etwas unangenehm. Heute müsste ich also eigentlich Brille tragen. Aber bin ich mir da sicher? Rock und runde Hipster-Hornbrille? Ein zu riskantes Unterfangen. Ich quäle meinen Augen also Linsen auf. Wahl der Qual. So richtig hungrig bin ich irgendwie noch nicht um diese Tages(un-)zeit, aber ich kenne mich langsam: Wenn ich jetzt nichts esse, werde ich mich auf der Strasse dünnhäutig fühlen. Und das ist ja wohl das Letzte, was ich heute will. Darum streiche mir doch noch ein paar Scheiben Butterbrot und verschaffe mir damit etwas «Boden». Schon krass, was dieses Stück Stoff alles mit mir macht, denke ich kurz.

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Ich verabrede mich mit Timo in einem Tram, um nicht alleine fahren zu müssen. Doch zur Haltestelle ist es ein ziemliches Stück, und da stellt sich schon die nächste Frage: Wie komm ich dahin? Zu Fuss? Der Weg ist zu weit. Auf dem Velo? Ich zu Rock-unerfahren. Fahre ich eine Haltestelle und exponiere mich dadurch kurz alleine? Also gut. Du schaffst das, Cesare.

Als ich aus dem Haus gehe, überkommt mich ein intensives Gefühl. Es ist das Gefühl von Nacktheit und Wachsamkeit; das Gefühl, einfache Beute für Bullies zu sein; als würden all die schlafenden Hunde in mir, oder auch all die Bullies aus meiner Vergangenheit, plötzlich geweckt werden. Dieses Unbehagen, das ich heute versprüre – haben das Gender-nonkonforme Menschen jeden Tag? Ich will es mir gar nicht recht vorstellen.

Mir fällt auf, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben ohne Hose aus dem Haus gehe. Heute vor einem Jahr hatte ich nämlich eine an, denn ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft, einen Rock zuorganisieren und nahm kurzerhand einen übriggebliebenen am Treffpunkt. Es fühlte sich anders an, sich erst dort umzuziehen; die relativ grosse Gruppe mit-berockter Mit-Männer bot auf eigenartige Weise Schutz. Und so ist es auch dieses Mal wieder: Sobald ich zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort ankomme, verflüchtigt sich die innere Anspannung. Es folgt eine friedliche Stunde unter Gleichgesinnten – verschiedene Menschen, gleiches Anliegen. Ein paar Passant*innen um uns herum grinsen, ein paar schauen abschätzig, praktisch alle gaffen.


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Richtig unangenehm ist mir nur ein Moment: Ich gehe an einem etwas verwahrlosten Mann mittleres Alters vorbei und dieser verpasst einem von mir getragenen Plastiksack einen kräftigen Fusstritt. Ob er das auch bei einem Hosenträger tun würde, weiss ich in dem Moment natürlich nicht. Auch danach komm ich eher glimpflich davon: Home Office ist angesagt, ich muss mich daher weder allfälligen Blicken noch Fragen von Kolleg*innen oder Kund*innen stellen. Hätte ich es getan, an einem Tag mit Office ohne Home? Ich will es glauben. Der Tag neigt sich dem Ende zu, die Medien haben berichtet, und eine goldene Regel des politischen Aktivismus lautet: Keine Social-Media-Kommentare lesen. Aber diesmal ist die Versuchung einfach zu gross – und ist eine solche Aktion nicht auch dazu da, um Leute ausserhalb der eigenen Bubble zu erreichen bzw. zu wissen, was diese darüber denken? Unter der Reportage eines populären Jugendmediums ist unter anderem zu lesen: «hat sonst noch jemand keine männner gesehen in diesem video? testosteronmangel 100m gegen den wind» und «homo day würde eher passen haha» und «schön und gut, aber es braucht auch männer, die in brennende häuser rennen oder das land verteidigen». Was sie mir damit sagen: Es gibt noch viel zu tun.

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Cesare Macri ist freier Autor und Mitglied bei Die Feministen.