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Schwanger werden können

Die Entkoppelung von reproduktiven Fähigkeiten und reproduktiven Bedürfnissen könnte ein erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit sein.

Dass Menschen unterschiedlich reproduktiv ausgestattet sind - zum Beispiel mit oder ohne Gebärmutter - ist eine unbestrittene biologische Tatsache. Dass dies zu Benachteiligungen führt, hat aber nichts mit Natur zu tun, sondern mit Kultur und Politik. Das Private war schon immer politisch, und der Zugriff auf den weiblichen Körper ist nach wie vor ein wesentlicher Teil von Sexismus: Gewalt gegen Frauen, die Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit und die Kapitalisierung des weiblichen Körpers in der Werbung sind nur einige Beispiele. Wie sind diese geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten entstanden und warum wirken sie bis ins 21. Jahrhundert? Der Essay „Schwangerwerdenkönnen“ von Antje Schrupp geht diesen Fragen nach und stellt eine wichtige Erkenntnis in den Vordergrund: Es gibt zwei Arten von Menschen, die, die schwanger werden können, und die, die es nicht können. Schrupp fordert eine Diskussion darüber, wie wir mit dieser Ungleichheit unter uns Menschen umgehen wollen. Denn die Tatsache, dass ein Teil der Menschen schwanger werden kann, hat wesentlich zur Unterdrückung der Frauen beigetragen.

Schrupp selbst schildert autobiografisch, wie sich die Entkopplung von reproduktiven Anlagen und reproduktiven Bedürfnissen bei ihr zeigt: „Ich zum Beispiel habe immer damit gehadert, dass ich mit Gebärmutter geboren wurde, weil ich nicht schwanger sein und gebären wollte, aber gegen das Elternsein, nicht unbedingt was gehabt hätte.“ Der Kinderwunsch ist also nicht zwangsläufig an den Wunsch, schwanger zu werden, gebunden und auch nicht an das, was wir als „Weiblichkeit“ begreifen. Denn "bei der Frage, was wir unter "Geschlecht" verstehen, handelt es sich um ein politisches Thema, nicht um ein wissenschaftliches.“, sagt Schrupp. Die Tatsache, dass wir geschlechtsspezifische Kleidung, geschlechtsspezifische Produkte und ein symbolisches System der Zweigeschlechtlichkeit haben, beweist das: Wenn Geschlecht einfach nur den reproduktiven Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Gebärmutter bezeichnen würde, gäbe es keinen Grund, wissen zu wollen, welches primäre Geschlechtsorgan das ungeborene Kind haben wird.

Die wichtigste Pointe des Buches scheint mir Schrupps Forderung zu sein, die reproduktiven Fähigkeiten von den reproduktiven Bedürfnissen der Menschen zu entkoppeln. Vereinfacht gesagt: Nicht jeder Mensch mit einer Gebärmutter kann und will schwanger werden, ebenso wenig wie das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Gebärmutter etwas darüber aussagt, mit welchem Geschlecht sich ein Mensch identifizieren möchte. Auch Menschen ohne Gebärmutter können den Wunsch haben, schwanger zu werden oder Eltern zu werden. Tatsächlich schließt (fast) nichts nichts aus und (fast) alles alles ein - aber wir tun so, als sei in Bezug auf Elternschaft und Fortpflanzung alles klar. Um es noch einmal anders zu sagen: Wenn wir sowohl die Tatsache, dass manche Menschen einen Uterus haben, als auch die Tatsache, dass das Vorhandensein eines Uterus zunächst einmal nichts über die Gebärfähigkeit und nichts über den Gebärwunsch derselben Person aussagt, voneinander trennen würden, ergäben sich für uns neue, aber immer schon vorhandene Möglichkeiten der Fortpflanzung bzw. der Elternschaft. Nicht zwei, Frau und Mann, sondern viele, auch queere Positionen würden repräsentierbar.

Machen wir abschließend ein Schrupp‘sches Gedankenexperiment: Wenn wir zur Entkopplung von Fortpflanzungsorganen und Fortpflanzungsbedürfnissen noch die Geschlechtsidentität, die sexuelle Orientierung, den Beziehungsstatus, die Beziehungsformen, die Interessen, die Fähigkeiten und vieles mehr eines Menschen dazu nehmen, ergeben sich unendlich viele gültige Lebensentwürfe (für Elternschaft). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die Vorstellung einer binären Geschlechterordnung zu kurz greift.

Sabrina Lisi ist Kolumnistin und Teil der Redaktion von Geschlechtergerechter.