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Nicht alle Frauen sind benachteiligt

Frausein allein genügt nicht mehr. Um sich benachteiligt zu fühlen braucht es mehr Differenzierung. Es ist Zeit, dass wir aufhören, alle Frauen als Opfer und Benachteiligte zu sehen. Mehr Differenzierung setzt Kräfte frei und schafft Raum für neue Allianzen.

Vor dreissig Jahren gab es noch an vielen Orten Rentnerrabatte, ältere Menschen konnten günstiger Tram fahren, und für weniger Eintritt ins Theater oder ins Museum gehen. Diese Rabatte wurden vielerorts abgeschafft, weil man erkannt hatte, dass Altsein allein nicht unbedingt Armsein bedeutet. Nirgends finden sich so viele reiche Menschen wie in der Gruppe der über 60 Jährigen. Niemand bestreitet jedoch, dass es unter den Alten auch viele Frauen und Männer gibt, die kaum genug haben zum Leben und dass man dagegen etwas tun muss.

Diese Differenzierung würde der Debatte über die Gleichstellung von Mann und Frau auch gut tun, denn die Zeiten, in denen alle Frauen benachteiligt waren und diskriminiert wurden, sind vorbei. Dennoch ist Geschlechtergerechtigkeit noch längst nicht überall erreicht. Gewalt gegen Frauen beispielsweise ist auch heute noch ein Problem, gegen das wir uns klar wehren müssen.

Die Zeiten, in denen alle Frauen diskriminiert waren, sind vorbei.

Lynn Blattmann

Jüngere Frauen im Alter vor der Familiengründung beteuern fast alle, dass sie im Alltag kaum Benachteiligungen erfahren. Das ändert sich allerdings in der Mutterschaft. Sobald eine Frau schwanger wird, zeigt sich, dass unser Kinderbetreuungssystem, die Schule und auch die Arbeitswelt immer noch darauf abstellt, dass Mütter in erster Linie Hausfrauen sind. Daran ändert sich auch nichts, wenn vereinzelte Männer ihren Frauen in der Haus- und Familienarbeit mehr helfen.

Es ist also richtig, dass wir auch in Zukunft vehement gegen alle Ungerechtigkeiten, Gewalt, alte Rollenbilder, Lohndifferenzen etc. kämpfen, unter denen viele Frauen leiden. Aber: Es leiden nicht alle Frauen unter diesen Problemen. Die Zahl der Frauen, die keine Kinder (mehr) haben, die fabelhaft ausgebildet sind, die gutes Geld verdienen oder gar eine gute Erbschaft machen, ist mittlerweile so gross, dass wir aufhören müssen, in den Frauen immer nur Opfer zu sehen.

Sich nicht mehr als Opfer fühlen zu müssen, setzt neue Kräfte frei.

Lynn Blattmann

Das hat auch Vorteile. Denn Frauen, die sich nicht mehr als Opfer fühlen sind stärker, sie können auch mehr Spass entwickeln, zum Beispiel an Führungsaufgaben oder am Geldanlagen. Frauen, die sich nicht mehr per se benachteiligt oder in der Opferrolle sehen, erwarten auch weniger Geld von Ihren Partnern und sie richten ihre Arbeitsbiografie danach aus, dass sie das Geld für ihren Lebensunterhalt und für ihre Altersversorgung selbst verdienen müssen.

Ich bin überzeugt, dass dieses Umdenken nicht nur vielen Frauen einen enormen Powerschub geben wird, es könnte auch die Geschlechterdebatte entkrampfen und unsere Welt weniger schwarzweiss erscheinen lassen. Denn ebenso wie nicht alle Frauen Opfer sind, sind auch nicht alle Männer per se Täter.

Männer sind ebenso zuständig für Geschlechtergerechtigkeit wie Frauen.

Lynn Blattmann

Niemand glaubte im Ernst daran, dass die Alten allein dafür zuständig sind, Lösungen zu finden gegen Altersarmut, aber in der Frauenfrage werden die Frauen nicht nur per se als benachteiligt, sondern auch als verantwortlich für die Lösungsfindung angesehen. Das ist ein Unsinn.

Die fehlende Geschlechtergerechtigkeit in der Schweiz ist ein gesellschaftliches Problem, es geht uns alle an, Frauen und Männer. Lösen können wir es nur gemeinsam: Just do-it!