Väter meinen es ernst: mit dem Wunsch nach mehr Präsenz in der Familie und nach stärkerer Teilhabe am Aufwachsen ihrer Kinder. Johan Bävman / MenCare Schweiz

Vaterschaft – und Vater schafft?!

Männer übernehmen laufend mehr Familien - und Hausarbeit. Wenn es im gleichen Tempo weitergeht, dauert es noch 45 Jahre bis Gleichstellung in der Familie erreicht ist. Solange nicht offen diskutiert wird, wie widersprüchlich die Rollenerwartungen an Männer heute sind, wird sich der Wandel kaum beschleunigen lassen.
Väter meinen es ernst: mit dem Wunsch nach mehr Präsenz in der Familie und nach stärkerer Teilhabe am Aufwachsen ihrer Kinder.

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Soviel mehr Familien- und Hausarbeit leisten Väter heute im Vergleich zur Vätergeneration vor ihnen. Sagt das Bundesamt für Statistik. Die Verteilung der Haus- und Familienarbeit hat sich damit weiter egalisiert. Immerhin 38 Prozent aller häuslichen Pflichten übernehmen Väter heute. Geht es im gleichen Tempo weiter, werden sich Mütter und Väter im Jahr 2066 die Care-Arbeit hälftig teilen. Das wären dann noch 45 Jahre oder rund zwei Generationen bis zur Umsetzung des Verfassungsauftrags, der die «rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit» einfordert.

Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Klar ist: Der Wandel ist real. Was sich in Umfragen bereits seit Längerem als neue Normalität abzeichnet – junge Paare heute wollen sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen – schlägt sich zusehends in den ganz konkreten Arbeitsarrangements nieder. Väter leisten dabei den Tatbeweis: Es ist ihnen ernst mit dem Wunsch nach mehr Präsenz in der Familie und nach stärkerer Teilhabe am Aufwachsen ihrer Kinder.

Ein Teils widersprüchliches Spannungsfeld: Vaterschaft und Vater schafft.

Klar ist aber auch: Der Wandel vollzieht sich nicht in allen Lebensbereichen gleich schnell und vor allem nicht widerspruchsfrei. In unseren Geburtsvorbereitungskursen für werdende Väter, die männer.ch in Spitälern und Geburtskliniken durchführt, kommen wir nahe an den Puls der heutigen Vätergeneration. Eindrücklich ist dabei, mit welcher Ernsthaftigkeit sich Väter auf das Abenteuer Familie vorbereiten. Sie haben grossen Respekt vor der neuen Aufgabe, wollen ihrem Kind ein echtes Gegenüber sein. Kinder sind Frauensache? Diesen Satz haben wir noch kein einziges Mal gehört. Es ist für die heutige Vätergeneration völlig selbstverständlich, dass auch Mütter weiterhin in der Erwerbsarbeit bleiben sollen und Anspruch darauf haben, dass ihre Männer ihnen zuhause den Rücken freihalten.

Unbefangen oder doch naiv?

Eindrücklich ist jedoch auch die Unbefangenheit – oder Naivität? – mit der Männer Väter werden. Es geht nicht um mangelnde Informiertheit. Auffällig ist vielmehr, wie selten werdende Väter den Austausch mit anderen Männern suchen, die diese Erfahrung bereits gemacht haben. Die eigene Vaterschaft wäre doch der perfekte Anlass, um den eigenen Vater zu fragen, wie er diese monumentale Veränderung erlebt hat. Was er vermisst hat. Was ihm geholfen hat. Wozu er unbedingt raten würde. Das könnte auch ein Freund, der ältere Bruder, ein Götti, ein Arbeitskollege oder der Berater auf einer Fachstelle sein. Doch die Hürde scheint noch immer (zu) hoch. Ein echter Mann hat alles im Griff, verlangt das Rollenklischee. Vermutlich wirkt das Verbot, um Unterstützung fragen zu dürfen, immer noch (zu) stark.

Auffällig ist vielmehr, wie selten werdende Väter den Austausch mit anderen Männern suchen, die diese Erfahrung bereits gemacht haben.

Markus Theunert

Ein Wertewandel braucht Zeit

So manövrieren sich auch heutige Väter in ein widersprüchliches Spannungsfeld: Sie wollen mehr Väterlichkeit leben als sie das als Söhne selbst erlebt haben. Doch dafür auf Anderes zu verzichten, bleibt schwierig. Das aber wäre notwendig, denn lebbar ist der gute Vorsatz letztlich nur, wenn die Karriere während der betreuungsintensiven Kleinkindjahre zweite Priorität sein darf. Diesen Abschied von der Ernährerrolle aber haben erst wenige vollzogen. Auch die Gesellschaft und die Arbeitgeber brauchen Zeit für den Wertewandel.

Aber müssen es wirklich noch 45 weitere Jahre sein …?!

Markus Theunert leitet den Dachverband progressiver Männer- und Väterorganisationen männer.ch.