Rost osterloh Normen und Rollen – Blog

Wie es wirklich ist...

Die beiden Professorinnen Katja Rost und Margit Osterloh nehmen Stellung zu ihrer kontrovers diskutierten Studie.

#GG: Ihr Befund, dass Studentinnen an den Universitäten nicht diskriminiert werden, hat helles Entsetzen ausgelöst. Wurden Sie von der Sonntagszeitung falsch zitiert?

Katja Rost: Der Titel war reisserisch. Wir haben den Titel nicht gewählt und hatten keinen Einfluss. So arbeiten leider viele Medien, weil der Mensch so funktioniert. Negative Nachrichten verkaufen sich besser. Das sehen sie auch an den Meldungen, die nun folgen. Ich hätte einen neutralen Titel gewählt. Beispielsweise, «Was sind die Ursachen der Leaky Pipeline an Universitäten?». Das hätte sich weniger gut verkauft, aber den Inhalt wieder gegeben. Der nachfolgende Inhalt des Beitrages (sofern man nach dem Titel noch in der Lage ist, neutral zu lesen) gibt unser Papier richtig wieder. Wenn auch in einfacher, simplifizierter Form. Als Wissenschaftlerinnen drücken wir uns sehr viel verhaltener und komplexer aus. Aber das liest dann leider kaum jemand mehr. Insofern ist die Reaktion auf den Artikel fast grotesk. Unsere Befunde sind in vieler Hinsicht gar nicht neu. Viele Wissenschaftler:innen vor uns sind bereits zu diesen Erkenntnissen gekommen. Und nun beim «100.» Ergebnis dieser Aufschrei…

#GG: Sie schreiben, dass die Rollenbilder vieler Studierenden eher traditionell sind und dass dies besonders für Studentinnen in sogenannten «Frauenfächern» gilt, was bedeutet das?

Katja Rost: Wir stellen fest, dass insbesondere Frauen aus sogenannten «Frauenfächern» (d.h. ein überproportionaler Anteil an weiblichen Studierenden bei Studienbeginn) überproportional häufig im Vergleich zu den anderen Gruppen ab Geburt des Kindes ihr Arbeitspensum reduzieren wollen, eher keinen beruflichen Aufstieg anstreben oder eher aus Elternhäusern mit traditionell vorgelebten Rollenmodell kommen. Auch das Geschlecht der Geschwister und die entsprechende Erziehung durch die Eltern spielen bei der Fachwahl eine Rolle. Bei Männern, die «Männerfächer» studieren beobachten wir das Gegenteil. Schlussendlich finden beide Parteien – Frauen aus «Frauenfächern» und Männer aus «Männerfächern» – oft (in Folge ihrer jeweiligen Überrepräsentation im Fach) auf Heiratsmärkten zueinander. Im Endeffekt ist es eine Vielzahl an Einzelbefunden, die zusammengereiht ein systematischeres Bild zeichnen.

«Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese Frauen und Männer unmodern sind. Im Gegenteil: Sie wünschen sich sehr oft eine egalitäre Rollenverteilung in Partnerschaften. Die Frauen nur ein bisschen mehr als die Männer.»

Prof. Dr. Katja Rost

Und das ist später die Crux bei der Geburt des ersten Kindes. Sie steckt meist zurück und nicht er. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die sehr genau beschreiben, wie diese Re-Traditionalisierung schleichend ihren Lauf nimmt. Meist beginnt es schon mit der Antizipation der Elternschaft. Die Frauen werden oft inflexibel und sind beispielsweise nicht mehr so umzugsbereit für einen Job, während wir bei den Männern diesen Effekt nicht beobachten. Eventuell wird sich hier in Zukunft etwas ändern, das wäre wünschenswert. Aber es betrifft eben auch die Männer, die ihr Rollenmodell (welches übrigens bei beiden Geschlechtern viel stärker verwurzelt ist) aufweichen müssten. Es gibt einige Männer, die dies tun – aber noch lange nicht die Mehrheit.

#GG: Früher las man oft über die gläserne Decke, die Frauen den Aufstieg verdeckt, was ist der Unterschied zum Befund der Leaky Pipeline?

Katja Rost: Die gläserne Decke hindert Frauen, die aufsteigen wollen, systematisch am Aufstieg, in Folge von Diskriminierung. Dies führt dann zwangsläufig zur Leaky Pipline: Frauen sind in Führungspositionen seltener anzutreffen. Ganz im Gegensatz zu ihrer anfänglichen Repräsentation im Fach oder Berufsfeld. Nun kann die Leaky Pipline aber auch andere Ursachen haben, so beispielsweise in Folge unterschiedlicher Wünsche und Lebensvorstellungen der Männer und Frauen. Mit anderen Worten: Die gläserne Decke beruht auf Diskriminierung. Die Leaky Pipline nicht zwangsläufig. Es sind auch andere Ursachen denkbar.

#GG: Kann es sein, dass wir glauben, dass Studentinnen fortschrittlicher sind in ihren Rollenvorstellungen als sie es tatsächlich sind?

Katja Rost: Das habe ich mich auch schon gefragt. Eventuell haben wir auch einfach ein falsches Bild von der jungen Generation? Diese ist, wie unsere Untersuchung zeigt, in manchen Aspekten sehr fortschrittlich. Da lässt sich die Vorstellung der egalitären Rollenverteilung zwischen Mann und Frau oder die Auffassung, dass man nicht mehr zwangsläufig Vollzeit arbeiten muss, nennen.

Aber in der Tat überraschen zwei Aspekte: (1) Die starke Gender-Aufteilung nach Studienfach, welche insbesondere – wie andere Untersuchungen aber auch unsere Strukturdaten zeigen - für die Männer zu- und nicht abzunehmen scheint und (2) die systematischen Unterschiede zwischen den Frauen und Männern, die Fächer mit einem hohen versus niedrigen Frauenanteil studieren.


#GG: Was bedeutet es für die Frauen, wenn sie in ihrer Karriere nachweislich nicht diskriminiert werden?

Katja Rost: Das Frauen mittlerweile prinzipiell genauso viele Chancen für einen beruflichen Aufstieg besitzen wie Männer. Im Übrigen stellen nicht nur wir diese fest, sondern auch andere jüngst erschienene Forschungsstudien zu diesem Thema. Das ist doch zunächst eine sehr positive Nachricht! Bis vor Kurzem wurden Frauen auf Bildungs- und Arbeitsmärkten systematisch diskriminiert. Statt über dieses Ergebnis zu jammern, sollten wir uns freuen. Es zeigt, wie viel die Gleichstellung in den letzten Jahren in westlichen Gesellschaften erreicht hat. Wie die verschiedenen Untersuchungen andeuten, scheint dieser Befund nicht nur für das Hochschulsystem, sondern auch für die Privatwirtschaft zu gelten.

«Bei beruflichen Karrieren müssen wir aber berücksichtigen, dass Frauen und Männer spätestens ab Geburt des ersten Kindes in der Familienarbeit immer noch nicht gleichgestellt sind. Hier haben Frauen nach wie vor systematische Nachteile.»

Prof. Dr. Katja Rost

#GG: Die oberste Gleichstellungsbeauftragte war etwas besorgt über die Ergebnisse Ihrer Studie. Muss Gleichstellung deswegen anders betrieben werden?

Katja Rost: Meiner Ansicht nach ja. Statt beispielsweise implizite oder explizite Quoten einzuführen, die beiden Geschlechtern auf unterschiedliche Art und Weise schaden und Konflikte in Zukunft anheizen statt abschwächen, benötigt es eine Gleichstellungspolitik, die beispielsweise auf die Frauen gezielt eingeht, die eine Karriere anstreben. Diesen Frauen sollte man bei der Geburt von Kindern viel mehr Zeit für den beruflichen Aufstieg zur Verfügung stellen. Auch müssten – und das sage ich (erfolglos) seit längerer Zeit - Organisationen gezielt umgestaltet werden, um flexibilisierte Teilzeit-Karrieremodelle zu ermöglichen (die dann aber selbstverständlich auch den Männern zur Verfügung stehen sollten).

Die Privatwirtschaft ist bei der Teilzeit-Karriere zumindest etwas weiter als die Wissenschaft. Bei Teilzeitkarriere-Modellen scheint mir wesentlich, dass nicht nur weniger bezahlt wird, sondern in gleichem Ausmass die Arbeitszeit und -last sinkt. Letzteres ist meist nicht gegeben. Ersteres schon.

Teilzeit-Karriere Modelle haben den Vorteil, dass der Wunsch vieler Eltern nach Selbstbetreuung des Kindes mitberücksichtigt wird. Es geht nicht nur um die hohen Kosten für die Kinderbetreuung, sondern auch darum, dass sich viele Eltern nicht zu viel Fremdbetreuung wünschen. Auch bei den Kosten der Kinderbetreuung kann man ansetzen. Aber dann - meiner Ansicht nach - in hohem Umfang (und nicht nur zu einem minimalen Prozentsatz) und gezielt für die Frauen, die diese Angebote zugunsten einer Berufskarriere nutzen. In der Gleichstellungsdebatte müssen wir zudem respektvoller mit den unterschiedlichen Wünschen von Frauen und Männern umgehen.


«Zur Gleichstellung gehört auch, dass man akzeptiert, wenn Personen keine Karrieren anstreben oder eine sehr gendertypische Fach- und Berufswahl treffen.»

Prof. Dr. Katja Rost

Natürlich kann Gleichstellung beim letzten Punkt auch konstruktiv ansetzen. Aber dies muss sie in einer Art und Weise erfolgen, die Freude bereitet und nicht als Zwang empfunden wird. Es ist doch unglaubwürdig, wenn ich als Soziologin einer anderen Frau einrede, dass diese MINT studieren soll. Dieser Wunsch muss intrinsisch entstehen. Wenn die Gleichstellung hierfür Ideen entwickeln kann, super! Dafür fehlen bislang aber überzeugende Konzepte, welche die Wurzel des Problems in seiner Vielfalt – nicht nur in der Schule, sondern auch in der Familie, dem Freundeskreis, dem gesellschaftlichen Umfeld – angehen.

Eine andere Variante wäre: leben und leben lassen. Und dann aber mit allen Konsequenzen. In dieser Variante müssten die Frauen und Männer aufgeklärt werden, welche Tragweite solche Entscheidungen im späteren Lebenslauf haben können. Zuletzt kann man darüber nachdenken, ob gewisse Aufklärungen zum gendertypischen Rollenverhalten in Schule, Ausbildung oder Universität verpflichtend werden. Vielen ist die normative Kraft dieser Stereotype nicht bewusst. Denn aktives Bewusstsein schafft andere Reflektionsbedingungen für eigene Handlungen!

Kommentare