Wer sich noch an diese Kabäuschen erinnert, weiss oft auch noch, dass sie einen typischen Geruch hatten. Die meisten rochen leicht süsslich nach abgestandenem Rauch und Schweiss. Manchmal schwang auch eine leichte Urinnote mit.
Obwohl viele freistehende Telefonkabinen auf allen Seiten durchsichte Glasscheiben hatten, fühlte man sich augenblicklich geborgen in ihnen. Im Unterschied zum Ausland, wo die Telefone in den Kabinen oft notorisch beschädigt waren, funktionierten bei uns die allermeisten. Dies lag natürlich an der Schweizer Qualität aller Bestandteile. Telefonkabinen waren eigentliche Swiss-Miniatures. Die Einrichtung war so reduziert und asthetisch derart durchkomponiert, dass ich sie in ihrer einfachen Unverwüstlichkeit schmerzlich vermisse.
In den Kabinen gab es diese massiven übergrossen Chromstahltelefone mit den Münzschlitzen, sie waren so fest mit der Wand verschraubt, dass sie auch dem unstabilsten Telefonierer Halt boten, dies verlieh ihnen auch einen Hauch von Unvergänglichkeit, der zur Schweiz gehört. Seit 1971 gab es an unseren Telefonen sogar einen Schlitz für ein Fünffrankenstück, weil das Telefonieren teuerer geworden war und weil viele Menschen länger telefonierten. Beliebt war der Schlitz für den Fünffränkler nicht, denn der Apparat gab kein Rückgeld, nur nicht angebrochene Münzen wurden wieder ausgespuckt.
Telefonkabine als Miniaturschweiz
Die PTT wie die Swisscom damals hiess, kannte ihre Bürgerinnen und Bürger. Sogar das Telefonkabel war gepanzert. Der Apparat strahlte eine derart behagliche Unverwüstlichkeit aus, dass man sich augenblicklich beruhigte, wenn man ihn erblickte. Für Menschen, die dennoch nervös waren beim Telefonieren, wurde rechts oben neben dem Telefon dezent ein unglaublich formschöner Aschenbecher angebracht. Edles Design, Gussware, total unverwüstlich. Schweizerisch eben. Und für Vergessliche gab es die Telefonbücher der Region in stabiler Klappaufhängung, darin konnte man nicht nur die gesuchten Nummern nachschlagen, sondern auch sehen, wie die verheirateten Frauen als Ledige geheissen hatten. Oft war es sogar so, dass die Ehefrauen nur mit ihrem Ledigennachnamen in den Telefonbüchern vorkamen. Es hiess dann: Hans Hablützel-(Keller), Obstgartenweg 21. Die Ehefrauen waren mit dem Mädchennamen der Frau in Klammern jeweils still mitgemeint.
Wenn die schwere Türe mit einem sanften Schmatzen zufiel stand man allein und war plötzlich umgeben von allem was man brauchte für unkörperliche Zweisamkeit, vorausgesetzt natürlich, man hatte etwas Kleingeld in der Tasche.
Wie viele Geliebte haben einander aus Telefonkabinen angerufen? Dazu musste man zum vorab vereinbarten Zeitpunkt vor der Kabine warten und hoffen, dass sie frei war, wenn der Angebetete anrief. Ausser, dass man gesehen werden konnte vor der Kabine, lief der Anruf anonym ab. Damals gab es kein Nummerntracing, keine Handyortung, dafür ganz viel analoge Freiheit. Wer sich einigermassen geschickt anstellte, konnte dank den Telefonkabinen unüberwachte Freiräume geniessen. Das wusse jede und jeder, sowie auch die meisten wussten, dass Nummern von Telefonkabinen immer mit 99 endeten.
Telefonkabinen waren auch sozial, denn auch wer kein Kleingeld bei sich hatte, konnte in den Telefonkabinen telefonieren, dafür gab es das R-Gespräch. Man wählte eine dreistellige Servicenummer, die mir leider entfallen ist, dann meldete sich eine Frauenstimme. Man teilte ihr mit, wen man anrufen wollte und sie rief vorab an, um zu fragen, ob der Angerufene einverstanden sei, die Kosten für den Anruf zu übernehmen, wenn er oder sie bejahte, stellte sich einen durch. R-Gespräche waren auf längeren Interrail Reisen oft die einzige Möglichkeit, zuhause anzurufen.
111
Damals kannte auch jedes Kind die Nummer 111, die häufig von der Telefonkabine aus angerufen wurde, denn die aufgehängten Telefonbücher deckten meist nicht die ganze Schweiz ab. Wer die drei Einsen einstellte, landete bei der Auskunft. Auch dies ein Frauenjob, der in der Schweiz damals nicht wegzudenken war. Denn die Auskunft wusste alles. Fast mehr noch als Google heute. Die Frauen der Auskunft waren die Mütter der Nation. Wer nicht wusste, was er oder sie kochen sollte, konnte ebenso bei der Auskunft nachfragen, wie jemand, der nicht sicher war, wohin der Onkel Dagobert genau verzogen war. Die Auskunft wusste alles und fand alles. Sie kannte die Hausmittel bei Fieber, wusste, was bei Liebeskummer zu tun war und sie fand alle gewünschten Telefonnummern wie der Blitz. Wenn man oft anrief, wurde man sogar persönlich begrüsst. Kein Wunder vermisste damals keiner die Sozialen Medien.