Taschenmesser

Das Sackmesser

Das Taschenmesser wurde zwar schon von den Römern geschätzt, aber erst vor 125 Jahren haben die Schweizer aus dem Alltagsobjekt ein Kultobjekt gemacht, das sogar Teil der Standardausrüstung der Crew des Nasa Space-Shuttle wurde. Die nicht ganz geschlechtergerechte aber sehr schweizerische Erfolgsgeschichte eines Alltagsgegenstandes und sein Absturz.

Als ich ein Kind war, wünschte ich mir nichts so sehr wie ein Taschenmesser. Ein richtiges Offiziersmesser wollte ich, eines mit Ahle, Schraubenzieher, Korkenöffner und Säge. Es dauerte einige Wochen bis ich meinen Götti soweit hatte, dass er mir zum Geburtstag ein rotes Victorinox schenkte.

Man schrieb das Jahr 1969 und ich war überglücklich, als ich das ersehnte Ding in meiner Hand spürte, damit würde ich alles tun können, was ich wollte: Schnitzen, Spielzeug flicken, ja, sogar Bäume umsägen und Löcher bohren. Meine Freude dauerte nur kurz, denn die Erwachsenen begannen noch vor dem Essen des Geburtstagskuchens mit der Diskussion, ob man einem Mädchen überhaupt so etwas schenken könne, ob das nicht viel eher etwas für einen Bub sei.

Ich verzog mich mit dem roten Messer ins Kinderzimmer und versuchte minutenlang vergeblich die Klinge herauszuklappen. Weil ich das nicht hinbekam, entschloss ich mich das Messer zu versorgen und so zu tun, als würde ich mich über die anderen Geschenke viel mehr freuen als über das schneidige Supertool.

Bisher hatte ich gemeint, dass alle Kinder ein Taschenmesser besassen nur ich nicht. Am Tag meines 8. Geburtstags fand ich heraus, dass nur alle Buben eins hatten und dass sie überhaupt nicht erpicht darauf waren, dass ich als Mädchen nun auch so ein rotes Teil besass. Einer wollte es mir wegnehmen, weil ich es ja sowieso nicht aufbekam. Ein Anderer versprach mir, dass er jeden Schnitz- oder Schraubauftrag für mich erledigen würde, wenn ich ihm mein Messer überliesse.

Das Taschenmesser ist das Utensil des kleinen Mannes.

Sprichwort

Swiss Army Knive wird zum Exporthit

Nicht nur ich fand die roten Dinger wahnsinnig praktisch und verführerisch, weil sie einem die Illusion verliehen, damit in der Welt einfach für alles gerüstet zu sein, die roten Sackhegel fanden auch den Schweizer Männern und bei den Touristen reissenden Absatz. Erfunden wurden sie zwar für die Armee, damit die Offiziere mit diesem Werkzeug ihr Gewehr besser auseinander nehmen konnten und andere Alltagsarbeiten mit möglichst wenig Ausrüstung bewältigen konnten, aber geliebt wurden sie von den Kindern im Wald beim Picknick und von den kleinen und grossen Männern auf der ganzen Welt.

Mein Vater hatte eines im Auto, meine Mutter eines in der Handtasche. Mittlerweile gab es sie auch mit Nagelfeile. So wurden die roten Sackhegel zum Inbegriff des Schweizerischen zum perfekten, aber leider nur selten gebrauchten Survival-Kit des Alltags. Das Swiss Army Knive wie der Sackhegel ausserhalb der Schweiz genannt wurde, mauserte sich zum Inbegriff des Praktischen und zur Charakterbezeichnung. Wenn in Frankreich jemand als "véritable couteau Suisse " bezeichnet wird, dann versteht man darunter eine Person mit viel praktischem Sinn, Agilität und einem grossen Potential.

Der Untergang des Taschenmessers kam mit den Flugzeugentführungen und mit der politischen Korrektheit.

Taschenmesser werden zu tausenden konfisziert

Mit der Verschärfung der Sicherheitskontrollen im Zusammenhang mit den Flugzeugentführungen wurde das zerstörerische Potential der coolen roten Klappwerkzeuge wieder höher gewichtet. Taschenmesser waren in Flugzeugen ab den 1990er Jahren nicht mehr erlaubt. Auch weil damals immer mehr Büchsen mit praktischen Öffnungsringen versehen wurden und immer weniger Dinge selbst repariert wurden, verloren die roten Allzweckwerkzeuge ihre Attraktivität.

Auch die kleinen Buben bemerkten den Wandel der Zeit. Ihr Flehen um ein eigenes Taschenmesser wurde kaum mehr erhört, Mädchen bekamen sowieso keines. Seit etwas mehr als zwanzig Jahren sieht die moderne Pädagogik in den lebenspraktischen Werkzeugen nur die Schärfe des Messers und ihren unfriedlichen Aspekt.

Heute ist die Attraktivität der Taschenmesser auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Firma Victorinox hat längst diversiviziert und stellt jetzt auch Reisekoffer her, von der Herstellung der Taschenmesser könnte sie längst nicht mehr leben.

Darum muss das rührige Schwyzer Unternehmen Victorinox ihr 125. Jubiläum des roten Taschenmessers fast ohne Messer begehen. Eigentlich schade, oder?

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